Gütersloh (gpr). Auf Einladung der Stadt Gütersloh haben sich kürzlich Anwohnerinnen und Anwohner des Nettelbeckwegs im Kleinen Saal der Stadthalle Gütersloh eingefunden, um mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des städtischen Fachbereichs Kultur über die mögliche Umbenennung des Nettelbeckwegs zu diskutieren. Angeregt wurde die Debatte durch Schülerinnen und Schüler des Evangelisch Stiftischen Gymnasiums, die sich im Rahmen des Geschichtswettbewerbs der Bundeszentrale für Politische Bildung intensiv mit der Geschichte des Namensgebers befasst hatten. Der Nettelbeckweg wurde nach Joachim Christian Nettelbeck (1738-1824) benannt, der für seine Rolle bei der Verteidigung Kolbergs im Jahr 1807 geehrt wurde. In dem Drama „Colberg“ aus dem Jahr 1865 von Paul Heyse, das später vom Regisseur Veit Harlan für Nazi-Propagandazwecke verfilmt wurde, wird Nettelbeck als Nationalheld gefeiert. Seine Ehrung beruht allerdings auf einem Mythos und nicht auf historischen Tatsachen. Nettelbeck war außerdem als Seefahrer niederländischer Sklavenschiffe aktiv am Sklavenhandel zwischen Westafrika und Amerika beteiligt. Er propagierte offen den deutschen Kolonialismus, distanzierte sich jedoch erst im Zuge eines Verbots des Sklavenhandels davon. Vor diesem Hintergrund stellten die Schülerinnen und Schüler des Evangelisch Stiftischen Gymnasiums den Antrag zur Umbenennung des Nettelbeckwegs und schlugen vor, die Straße nach einer Frau mit Bezug zur Dekolonisierung zu benennen.
An diesem Abend sollten nun die Anwohnerinnen und Anwohner zu Wort kommen, die von einer Umbenennung direkt betroffen wären. Insgesamt 13 Anlieger folgten der Einladung. Anwesend waren zudem Mitglieder der AG Straßennamen sowie politische Vertreterinnen und Vertreter von BfGT, Grünen, SPD und CDU. Die Schülerinnen und Schüler wurden durch ihre Lehrerin Sarah-Marie Jürgenliemke vertreten, die deren starkes Engagement lobte.
Kulturdezernent Andreas Kimpel betonte einleitend: „Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist ein wichtiger Bestandteil der Erinnerungskultur in Gütersloh. Ein angemessener Umgang mit den Spuren des Kolonialismus muss gefunden werden.“ Als Experten hatte die Stadt den Philosophen Dr. Urs Lindner eingeladen, der sich in Erfurt mit der Bewegung „Decolonize Erfurt“ für die Umbenennung des dortigen Nettelbeckufers engagiert. Er betonte, dass die Benennung einer Straße nach einer Person immer eine Ehrung dieser Person sei, Joachim Christian Nettelbeck dieser Ehre jedoch nicht gerecht werde. Anders als ambivalente Personen wie beispielsweise Martin Luther, der zu Lebzeiten ein Antisemit war, jedoch auch die deutsche Geschichte bedeutend geprägt hat, könne Joachim Nettelbeck keinen solchen aus heutiger Sicht ehrenwerten Einfluss nachweisen.
Die anwesenden Anwohnerinnen und Anwohner teilten die Auffassung, dass eine Auseinandersetzung mit der Geschichte nötig sei, kritisierten jedoch den erheblichen Aufwand einer Straßenumbenennung. Als Kompromiss plädierten sie für die Aufstellung eines QR-Codes, über den Informationen zum Namensgeber abgerufen werden können. Die inhaltlich vorgebrachten Aspekte wurden von Dr. Urs Lindner aufgegriffen. Letztlich sah er allerdings, bis auf den Arbeitsaufwand, kein valides Argument, das gegen eine Umbenennung spricht. Er betonte, dass die Umbenennung keine Kleinigkeit sei, sondern ein wichtiger Schritt hin zu einer inklusiveren Erinnerungskultur.
Im Falle einer Umbenennung wird das alte Straßenschild durchgestrichen und für ein Jahr unter dem neuen Schild platziert. Die anfallenden Kosten der Adressänderung werden von der Stadt übernommen. Die Entscheidung für oder gegen die Umbenennung des Nettelbeckwegs fällt der Ausschuss für Kultur und Weiterbildung am Dienstag, 9. April.