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Vom Zeltlager zum modernen Tagungszentrum

75 Jahre Bildungsstätte Haus Neuland im Zeichen des Wandels

Es begann im vorigen Jahrhundert mit Zeltlagern. Heute ist Haus Neuland eine der führenden Einrichtungen der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung in Deutschland. Nun feiert die am Südhang des Teutoburger Waldes gelegene Einrichtung ihr 75-jähriges Bestehen als Bildungsstätte.

„Neuland“ und „Rote Entwicklung“ – so vielversprechend lauteten die Namen der riesigen Zeltlager,die in den zwanziger und dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts in der Senne am Südhang des Teutoburger Waldes stattfanden. Über tausend Kinder und Jugendliche genießen die Zeit im Grünen, leben und diskutieren miteinander und träumen von einer besseren Welt.

Luftbild Haus Neuland – Mitten im Grünen – die Bildungsstätte Haus Neuland (Foto: Bennet
Kwiaton).

 

Demokratiebildung in Kinderschuhen
Gehört diese Form der Pädagogik doch untrennbar zur Kinderfreunde-Bewegung, die in den sogenannten Kinderrepubliken versuchen, Kindern Demokratie zu vermitteln. Elfriede Eilers, die vor einigen Jahren verstorbene SPD-Politikerin, beschrieb das in ihren Erinnerungen so: „Man wählte einen Dorfältesten oder Bürgermeister und aus den einzelnen Zelten fanden sich Sprecher zu einem Lagerparlament zusammen, das dann das Programms bestimmte.” Parlamentarische Demokratie im Kinderformat.

Damit ist es dann während der Zeit des Nationalsozialismus schlagartig vorbei, die Kinderfreunde und die Sozialistische Arbeiterjugend ziehen sich auf das Gelände des heutigen Haus Neuland zurück und halten nur noch heimlich Treffen ab. Kaum ist der Nazi-Spuk vorbei, taucht das „Neuland“- Lagerbanner wieder auf – und wird zum Namensgeber einer neu gegründeten Bildungsstätte. Im Jahr des Inkrafttretens des Grundgesetzes, am 26. Juni 1949, wird als erstes von heute vier Gebäuden das ,,Lila Haus“ eingeweiht. „Der erste Spatenstich wurde an einem Tag getan, an dem in Bielefeld eine Hungerdemonstration stattfand, weil wir zu wenig Kalorien hatten“, erinnerte sich Elfriede Eilers. „Aber dann sind wir herausgefahren mit dem wenigen Essen, das wir hatten und haben gearbeitet.“

Wie alles begann – mit den Zeltlagern der Jugendbewegung (Archiv).

 

Ein neues Bettenhaus entsteht
Nur rund zehn Jahre später kommt das „Rote Haus“ mit 80 Betten dazu, und auch in den folgenden Jahrzehnten expandiert die Bildungsstätte weiter und wird zu einer wichtigen Institution der politischen Bildung in der jungen Bundesrepublik. Politische Prominenz und renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geben sich hier die Klinke in die Hand, und dies von allen Parteien und gesellschaftlichen Gruppierungen. Bei Diskussionen mit Johannes Rau und später Jürgen Möllemann wird gequalmt, bis dichter Rauch durch die Tagungshalle zieht. Und die Party- Nächte sind legendär.

Das liebe Geld
In den 70er Jahren steht vor allem die Familienbildung im Mittelpunkt: Laut Willen der sozialdemokratischen Landesregierung sollen schon in der Familie demokratische Kommunikationsformen erprobt werden. „Wir haben Pott-Pädagogik gemacht“, erinnert sich der inzwischen über 8o-jährige Unternehmensberater Helmut Schibilsky schmunzelnd an seine Zeit als pädagogischer Mitarbeiter in Haus Neuland, „überall wo es einen Pott mit Fördermitteln gab, haben wir das passende pädagogische Angebot draufgesetzt“.

Das Ringen um Fördermittel für bauliche und pädagogische Projekte ist auch für Gabriele Bröker- Schüssler noch präsent, die über vierzig Jahre für und in Neuland tätig war. „Es war nie langweilig“ erinnert sie sich gern, aber auch an lange Arbeitszeiten. „Die Arbeit musste ja getan werden“. Zu Seminarzeiten wohnt das nur aus wenigen Personen bestehende Team im Haus, deckt auch die Nachtbetreuung ab, überlange Schichten sind die Regel, an Privatleben ist kaum zu denken. „Das gehörte einfach dazu“, erinnert sich Helmut Schibilsky an die vielen Tröstungen bei Liebeskummer. Denn ein Lebens- und Lernort ist immer auch ein Stück Liebesort.

Das erste feste Gebäude, das heutige „Lila Haus“ (Archiv).

 

Die wilden 70er
Schon früh wird auch der interkulturelle Austausch großgeschrieben. Uli Twelker, in den 70er Jahren erster Zivildienstleistender in Haus Neuland, beschreibt das so: „Viele wollten dieser ersten Generation an Gastarbeitern helfen, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Statt Vorurteilen gab es eher ein freudiges Interesse am Gegenüber.“ Seine pädagogischen Erfahrungen aus dieser Zeit in Neuland haben Twelker geprägt. Er studierte mit neuen Ideen auf Lehramt weiter, gab Wochenendkurse in Haus Neuland und war jahrzehntelang in Bielefeld als Lehrer tätig.

Neue Zielgruppen und ein vielfältiges Programm
Mit der Errichtung des Gelben Hauses kann Haus Neuland in den achtziger Jahren neue Zielgruppen dazu gewinnen. Neben der Jugendbildung, die nach wie vor den Schwerpunkt der Arbeit darstellt, ergänzen Fortbildungen für Kita-Fachkräfte, Bildungsurlaube zu politischen Themen und Seminare zur Vorbereitung auf den Ruhestand heute das Programm.

Hartmut Schibilsky und Gabriele Bröker-Schüssler erinnern sich gern an ihre Zeit in Haus
Neuland (Foto: Bennet Kwiaton).

 

„Das Team von Neuland hat sich stets den gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen der jeweiligen Zeit gestellt“, findet Ina Nottebohm, seit 2006 Geschäftsführerin, und bekräftigt: „Haus Neuland wird auch in einer Gesellschaft, in der Vereinzelung und Verrohung zunehmen, immer ein Ort sein, an dem das Miteinander und der offene Austausch an erster Stelle stehen und jede Stimme den gleichen Wert hat“.

Infokasten:

Haus Neuland zählt zu den führenden Einrichtungen der Jugend- und Erwachsenenbildung in Deutschland und hat rund 70 Beschäftigte. Gefördert wird die Bildungsarbeit vom Land NRW, aus dem Kinder- und Jugendplan von Land und Bund und mit Mitteln der Bundeszentrale für politische Bildung. Jährlich werden etwa 300 Seminare und Workshops angeboten. Neben eigenen Veranstaltungen steht die Bildungsstätte auch für externe Tagungen, Seminare und andere Begegnungen offen. Das Lila, Gelbe, Grüne und Rote Haus bilden zusammen mit einer großen Tagungshalle das heutige Seminar- und Tagungszentrum mit 20 Seminarräumen und über 200 Betten. Haus Neuland ist Sitz des Dachverbands „Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Bildungswerke“. Vorsitzender des Trägervereins ist Dr. Axel Horstmann, ehemals Arbeits- und Verkehrsminister von NRW. Im Vorstand engagieren sich auch die Bielefelder Bundestagsabgeordnete Dr. Wiebke Esdar und die Bielefelder Landtagsabgeordnete Christina Kampmann.

Eine interessante Entdeckung macht vor einigen Jahren ein Hobbyforscher: er entdeckte Spuren eines Marschlagers der Römer, die schon vor über zweitausend Jahren mit tausenden von Mann beim heutige Haus Neuland ihre Zeltlager aufschlugen.

Beim Fototermin entspannen Hartmut Schibilsky und Gabriele Bröker-Schüssler als Gäste an dem
Ort, wo sie viele Jahre zuvor tätig waren und Haus Neuland mitgestaltet haben. (Foto: Bennet
Kwiaton).

 

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