TEXT: REINHARD FULDE | FOTOS: RAIMUND VORNBÄUMEN
Ein großes Dankeschön an den Fotografen Raimund Vornbäumen für diese fantastischen Bilder, die er in der Jazz-City Zeit für die Neue Westfälische eingefangen hat. Und an Reinhard Fulde, der uns mit seinen Texten in die vergangene Zeit eintauchen lässt.
Zu dem Trio des Schlagzeugers Paul Motian, dem Gitarristen Bill Frisell und dem Tenorsaxophonisten Joe Lovano habe ich nicht nur deshalb eine besondere Beziehung, weil dies 1993 die ersten Jazzmusiker waren, die bei uns in Isselhorst am Esstisch saßen, sondern auch, weil ihre Platten zu den meistgespielten in meiner Sammlung zählen dürften und sie zu einer meiner absoluten Lieblingsgruppen im modernen Jazz geworden ist. Hört bitte mal rein! Spätestens bei »Kathelin Gray« von der Tokyo CD, aufgelegt (oder gestreamed) in einer ruhigen Stunde beim Glas Rotwein: Gänsehaut pur! Natürlich erklang das Stück in beiden Konzerten beim gebannt lauschenden Publikum im Jugendzentrum.
Seine Karriere begann Paul Motian mit einem Paukenschlag: Als Schlagzeuger im wohl berühmtesten Klaviertrio der Jazzgeschichte bei Bill Evans mit dem legendären Scott LaFaro am Bass. Dieses Trio gilt bis heute als Muster für das moderne Klaviertrio, in dem die Musiker erstmals wirklich »dreidimensional« spielten: Alle drei Instrumente gleichberechtigt und jederzeit in der Lage, eine Führungsrolle zu übernehmen.
Pauls Spiel bestand nicht nur im »timekeeping«, sondern zeichnete sich durch ausgeprägte melodische Akzente aus. Er war ein Drummer mit erstaunlicher Fähigkeit zum »Dialog«, ja zur »Unterhaltung« mit den anderen Mitgliedern seiner Band. Andeutungen und Klangfarben und ein gezielter Umgang mit Räumlichkeit waren dabei wichtiger als knallige Aussagen, die es freilich auch gelegentlich gab. Bis zu seinem Tode war Paul ein vielgefragter Begleitmusiker und u.a. noch mit seiner Electric Bebob Band aktiv.
Auch Joe Lovano stand 1993 am Beginn einer ebenfalls steilen Karriere, die er in den Orchestern von Woody Herman und Mel Lewis begonnen hatte. Wie Frisell belegt er seitdem ständig die vordersten Plätze in den Umfragen, so gerade in der letzten DOWNBEAT Leserumfrage knapp hinter Chris Potter und Charles Lloyd Platz drei am Tenorsaxophon.
Bill Frisell, dessen steile Karriere bei Paul Motian begann, schwimmt immer noch auf einer Woge der Popularität und ist, wie Joe Lovano, seit Jahrzehnten auf vordersten Plätzen bei Kritiker- und Hörerumfragen der bekanntesten Jazzmagazine zu finden. Dabei wechselte er sich in unregelmäßigen Abständen auf der Nr.1. Position mit Pat Metheny, Jim Hall, John McLaughlin und John Scofield, neuerdings auch mit Mary Halvorson, ab. Beeindruckend ist immer wieder die Vielseitigkeit Frisells: Seine Bandbreite bewegt sich vom klassischen Jazz, dem Swing und der Jazz Avantgarde über Bluegrass und Western bis hin zum Pop (u.a. bei Marianne Faithful, Elvis Costello).
Plattentipps:
Paul Motian- Bill Frisell- Joe Lovano:
Motian in Tokyo
Standard Plus One (mit Charlie Haden)
Sound of Love
Have the Room Above Her
Der erste Besuch von bewunderten Jazzmusikern bei uns im Haus machte uns natürlich anfangs nervös, die drei erwiesen sich aber von Beginn an als total nette Menschen, mit denen wir einen wunderbaren Abend erlebten. Alle drei genossen sichtlich den Ausflug aus dem üblichen Hotelleben als schöne Abwechslung. Joe ließ erkennbar seine italienischen Wurzeln sichtbar werden, genoss ganz besonders Essen, Wein und Cognac. Der jungenhaft, ja schüchtern wirkende Bill taute langsam auf und erzählte Episoden aus seiner College Zeit und von den ersten Begegnungen mit seinem Idol Jim Hall. Paul spornte, immer wieder witzig und voller Sarkasmus, seine Kollegen zu Reaktionen an und erzählte aus seinem New Yorker Alltag. Bei uns in Isselhorst sei es übrigens viel zu ruhig, auch im Hotel in Gütersloh könne er kaum schlafen, es fehlten der Lärm und die nächtlichen Sirenen Manhattans….
Das vielleicht schönste Kompliment für diesen Abend erhielt ich ein Jahr später in Montreux. Charlie Hadens Liberation Music Orchestra hatte seinen Auftritt beendet, und ich ging an den Bühnenrand, um Charlie und Paul, die mit dem Abbau der Instrumente beschäftigt waren, kurz Hallo zu sagen. Paul kam, erkannte mich sofort und raunte mir zu: „Hey, man, let’s have some salmon!“ – Beim Essen bei uns hatte es Lachs gegeben.
Info
Stephen Paul Motian (* 25. März 1931 in Philadelphia; † 22. November 2011 in New York City) war ein US-amerikanischer Schlagzeuger und Komponist. Der New York Times zufolge war er einer der einflussreichsten Jazzmusiker der letzten fünfzig Jahre.
William Richard »Bill« Frisell (* 18. März 1951 in Baltimore, Maryland) ist ein US-amerikanischer Gitarrist. Neben dem Jazz hat er auch in anderen musikalischen Genres von Pop und Filmmusik bis zur Neuen Musik gearbeitet. Sein signifikanter Klang macht ihn zu einem der stilbildenden Gitarristen der Gegenwart.
Joseph S. »Joe« Lovano (* 29. Dezember 1952 in Cleveland, Ohio) ist ein US-amerikanischer Jazz-Saxophonist, Komponist und Produzent. Seit 30 Jahren gilt er als so etwas wie »der Primus inter Pares des Tenorsaxophons, der das Beste zusammenfasst, was auf dem Tenorsaxophon gespielt wurde.« (SR)