Gütersloh (gpr). Erinnerung ist nicht nur Rückschau, sondern sie richtet den Blick nach vorn – unter diesen Leitsatz hat Bürgermeister Matthias Trepper seine Rede zum Gedenken an die Pogromnacht des 9. November 1938 gestellt, als auch in Gütersloh die Synagoge in Flammen aufging, die Wohnungen jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger verwüstet, ihre Bewohner verletzt und gedemütigt wurden. Dort, wo damals das jüdische Gotteshaus stand, in der unmittelbaren Nachbarschaft des Evangelisch Stiftischen Gymnasiums, haben sich am Sonntag rund 300 Menschen versammelt – viele davon mit Lichtern, um deutlich zu machen, dass Gewalt und Ausgrenzung nicht vergessen sind und dass aus der Erinnerung Verantwortung erwächst. Besonders an die jungen Menschen, die als Mitglieder der ESG-Big-Band das Gedenken mitgestalteten, richtete Trepper seine Worte: „Euer Mitwirken ist ein Versprechen, dass auch künftige Generationen sich erinnern, Verantwortung übernehmen und Mut zeigen, wenn andere schweigen.“

Anlässlich des Pogromgedenkens versammelten sich am vergangenen Sonntag rund 300 Menschen in der unmittelbaren Nachbarschaft des Evangelisch Stiftischen Gymnasiums. Foto: Stadt Gütersloh
Zwei Schülerinnen hatten zuvor aus einem Interview mit Ellen Tarlow, geb. Meinberg, zitiert. Die Gütersloherin, die mit ihren Eltern in der Feldstraße 25 wohnte, schilderte darin, wie sie als Elfjährige die Pogromnacht erlebte: „Da sagte meine Mutter: ‚Jetzt brennen sie das Haus ab.‘ Fünf Minuten später hörten wir einen Knall. Da war Benzin an den Gardinen, wir konnten es schon riechen. Sie riefen: ‚Jude, wir verbrennen dich.‘ Mein Vater war im Nachthemd, meine Mutter war schon, glaube ich, halb tot. Mein Vater wurde weggebracht. Da standen wir und wussten nicht, was wir tun sollten. Wir hatten einen Pyjama an und einen Mantel.“
Bürgermeister Trepper ging in seiner Rede ein auf die Reaktionen aus der Bevölkerung, auf das Wegsehen und das Schweigen, aber auch auf diejenigen, die Courage gezeigt und Widerstand geleistet haben: „Geschichte zeigt: Veränderung beginnt nie mit vielen, sondern oft mit einem einzelnen Menschen, der den Mut hat, nicht wegzuschauen.“ Trepper wies darauf hin, dass im vergangenen Jahr 6000 antisemitische Straftaten registriert worden seien, hunderte davon Gewalttaten. Angst bestimme den Alltag vieler jüdischer Menschen. Er forderte auf, aktiv zu werden: „Demokratie lebt nur, wenn wir handeln, wenn wir uns einmischen und Haltung zeigen.“ Gütersloh sei eine Stadt, die durch Miteinander stark geworden sei. In der Gegenwart sei die politische Landschaft oft geprägt von Unsicherheit und Polarisierung. Fremdenhass, Rassismus und Antisemitismus fänden Räume in Worten und Zitaten, die scheinbar harmlos daherkämen, doch ihr Ziel sei Spaltung. Trepper betonte: „Wir dürfen nicht zulassen, dass Angst uns trennt. Wir müssen miteinander reden, zuhören, fragen: Wer ist betroffen? Wer wird ausgegrenzt? Wer braucht unsere Unterstützung?“ Martin Luther King und Nelson Mandela zitierend verwies der Bürgermeister darauf, dass „Bildung, Austausch und Mut“ Mittel gegen Hass seien. An die Teilnehmenden des Gedenkens appellierte er, in Vereinen, Schulen, in Nachbarschaften und auch im Stadtrat, diesem Grundsatz zu folgen: „Seien Sie Mutmacher!“

Mitglieder der ESG-Big-Band gestalteten das Gedenken mit. Foto: Stadt Gütersloh
Wie in der Vergangenheit richtete auch in diesem Jahr der Christenrat das Gedenken gemeinsam mit der Stadt Gütersloh aus. Zusammen mit Nabil Anni, Mitglied des Gütersloher Integrationsrates, legte Matthias Trepper einen Kranz am Gedenkstein nieder, der durch unzählige Lichter erhellt wurde. Als Vertreterin des Christenrates sprachen Pfarrerin Dorothee Antony, Michele Reith und Elisabeth Wersterbarkey Fürbitten und Gebete, unter anderem das Gebet der Vereinten Nationen.



