Gütersloh (gpr). Musikalisch ausgefeilte Arrangements auf seltenen sowie gewöhnlichen Saiteninstrumenten und speziellen Holzblasinstrumenten erwarteten die Besucher beim Weltstadtmusik-Event des städtischen Fachbereichs Kultur. Es war das letzte Konzert der Reihe in dieser Saison. Das multilinguale „Dragseth-Trio“, vor 40 Jahren in der gleichnamigen Husumer Traditionsgaststätte von Kalle Johannsen und Manuel Knortz als Duo gegründet, tourt seit 2007 zusammen mit dem Liedermacher Jens Jesse durch Deutschland und Dänemark und gastierte am vergangenen Sonntag im Wapelbad. Die drei Barden verzauberten bei heiterem Sonnenschein und einem leichten Lüftchen mitten im satten Grün ein fasziniert lauschendes Auditorium mit wundervollen Songs und tollen Geschichten. „Am grauen Strand, am grauen Meer“, eine Eigenkomposition aus dem Zyklus, in dem „Dragseth“ überaus erfolgreich Gedichte von Theodor Storm vertont hat, eröffnete den Reigen. Das sogenannte Husum-Gedicht „Die Stadt“ fesselte das Auditorium, das den literarischen Ruf der Stadt am Meer einsaugen konnte.
„Wir drei sind alle am Wasser groß geworden. Und da bleibt es nicht aus, den einen oder anderen Song über die Seefahrt zu singen und zu spielen. Das nächste Lied handelt von einem alten Fahrensmann, der sich schon ein paar Jahre zurückgezogen hat. Aber ab und zu packt es ihn. Wenn er die weiße Möwe am Himmel winken sieht, dann ist der Ewer schon klar und es geht wieder raus auf See“. Kalle Johannsen snackt kurz zum Inhalt des plattdeutschen Chansons: „Dat het de witte Vagel dahn“.
Der eben dargestellte Protagonist wagt den Sprung übern großen Teich, und schon folgt ein Neo-Traditional-Folksong im Bluegrass-Stil. Der Titel „You’ll Never Leave Harlan Alive“ von Darrell Scott, welches die Perspektivlosigkeit der Menschen im Kohlerevier von Kentucky anklagt, erschallt und entführt augenblicklich alle Zuhörer in die original amerikanische Folkszene. Schon singt das Terzett der drei Tenöre über die Walfänger in der Antarktis, und, nur kurze Zeit später, über eine sensibel erwachende Vater- und Sohn-Freundschaft. „Großes Eis“ titelt der metaphorische Song, der mit den tief atmenden Tönen einer Mundharmonika menschliches Eis brechen lässt und das keimende Verhältnis an der zugefrorenen Nordseeküste akustisch imitiert.
Das genial musizierende Künstler-Tripple präsentiert eine faszinierende Mischung aus Intellekt und Instinkt. Die vertonte Lovestory, die mit enorm viel Gefühl die Eigenheiten von Tochter „Frederike“ präsentiert, eröffnet das zweite Set. Es folgt eine Hommage an den motivierten Auswanderer, der die Hallig Oland verlässt, und sich in Amerika nur plattdeutsch verständigen kann, und nicht – wie erwartet – in englischer oder deutscher Sprache. Diese Stories, und noch viele mehr, sammelt und trägt das harmonisch agierende „Dragseth-Trio“ vor. Selbst wenn die drei Musiker den Megahit „Baker Street“ des schottischen Songwriters Gerry Rafferty covern, „vertellen“ sie dazu ein fantastisches Kulturkonzentrat. Und überhaupt nutzen sie eine Weissenborn „Lap Slide Guitar“, das „Chalumeau“ und eine klassische „Waldzither“.
Hermann Weissenborn emigrierte um 1900 aus Deutschland und zog nach Los Angeles. In der Zeit von 1912 bis zu seinem Tod 1937 baute er die von vielen professionellen Gitarristen gespielte hohlhalsige Hawaii-Gitarre, die Jens Jesse erklingen lässt. Manuel Knortz lässt eine Flöte mit Klarinettenmundstück, das Chalumeau, erschallen, einem historischen Vorläufer der Klarinette. Obendrein erklang eine Waldzither, die vor 120 Jahren in Böhmen aufkam. Sie ist trotz ihres Namens keine Zither, sondern gehört, wie alle „Cistern“, zu den Kastenhalslauten. Das heftig einsetzende Applaus-Gewitter generierte die Dragseth-Zugabe „Oh, Mary, Don’t You Weep“, ein Gospel von Bruce Springsteen und Bob Seger. Dieser Song finalisierte das Weltstadtmusik-Konzert der nordischen Extraklasse.