Bielefeld (hsbi). Die Diskussion um den Fachkräftemangel in Kindertagesstätten ist aktueller denn je. Im August wurden im Rahmen des Kita-Qualitätsgesetzes vier Milliarden Euro für bessere Qualität in Kitas von der Bundesregierung freigegeben. Eine Investition, die bitter nötig ist, denn in den vergangenen rund 16 Jahren wurden mehr Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren geschaffen und die Ganztagesbetreuung ausgebaut. Gleichzeitig haben die qualitativen Anforderungen zugenommen durch Inklusion, Integration und die Zusammenarbeit mit den Eltern, aber auch durch den insgesamt gewachsenen Anspruch an Kitas als Bildungseinrichtung. Die gestiegenen Anforderungen sorgen bei den pädagogischen Fachkräften für ein Gefühl von Überforderung, viele sind überlastet und leiden unter den Arbeitsbedingungen, was sich beispielsweise in hoher Fluktuation oder im Burn-Out äußert. In der Folge fangen gut ausgebildete Fachkräfte häufig Personalstunden auf, was wiederum zu Frustration und Unzufriedenheit führt. Mit anderen Worten: Die Personalsituation hinkt dem Ausbau der Angebote deutlich hinterher.
Doch neue Fachkräfte gewinnt man nicht von heute auf morgen. Das vorhandene Fachpersonal halten ist somit die Devise und den Beruf attraktiver machen. Daher ist die Fragestellung, mit der sich die Pädagogin Anne Ruppert, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Sozialwesen der Hochschule Bielefeld (HSBI), in ihrer kürzlich abgeschlossenen Doktorarbeit am beschäftigt hat, absolut relevant: Was trägt zur Arbeitszufriedenheit pädagogischer Fachkräfte bei?
Frau Ruppert, wie kam es dazu, dass Sie genau dieser Frage wissenschaftlich auf den Grund gegangen sind?
Ruppert: Ich habe selbst einige Jahre in einer Kindertageseinrichtung gearbeitet und danach mehrere Jahre als selbstständiger Coach Kita-Teams beraten. Dabei nahm ich zum einen die Fluktuation innerhalb der Teams als stetige Unruhe wahr. Zum anderen wurde ich gezielt von Trägervertreter*innen gefragt, wie die hohe Fluktuation zu erklären ist und was dagegen unternommen werden kann. Diese Frage war Anstoß meiner Forschungsarbeit. Dabei habe ich mich oft gefragt, warum manche Teams funktionieren und über Jahre bestehen bleiben und in anderen Teams ein kontinuierlicher Wechsel der Fachkräfte stattfindet.
Wie sind Sie bei Ihrer Arbeit vorgegangen und was ist dabei herausgekommen?
In zwölf leitfadengestützten Interviews habe ich mit Erzieher*innen, Kindheitspädagog*innen und Kita-Leitungen gesprochen. Meine These war zunächst, dass die Mit- und Selbstbestimmung ein entscheidender Faktor sein könnte. Es zeigte sich, dass Partizipation zwar wichtig ist, aber vielmehr wünschten sich die Befragten transparente Strukturen und Zuständigkeiten sowie einen festen Rahmen, in dem Partizipation stattfindet. Ich nenne das `autonomieunterstützende Begleitung‘. Das bedeutet, ich möchte selbstständig arbeiten, wünsche mir aber Feedback und einen klaren Rahmen, in dem ich handle. Dadurch entsteht Sicherheit im beruflichen Handeln, was wiederum die Zufriedenheit erhöht.
Ein Beispiel: eine Erzieherin muss ein Elterngespräch führen und fühlt sich unsicher. Wenn sie weiß, dass sie den Fall mit ihrer Kita-Leitung besprechen kann, von ihr ein hilfreiches Feedback bekommt oder auch das Angebot, sie in dem Gespräch zu begleiten, so hilft das enorm. Fühlen sich die Fachkräfte hingegen allein gelassen, kann dies zu Unsicherheit und gegebenenfalls Überforderung führen, und das wiederum zu Unzufriedenheit.
Trifft das Ergebnis ausschließlich für das Verhältnis zwischen pädagogischem Fachpersonal und der Kita-Leitung zu oder auch für Kita-Leitung und Träger?
Das Ergebnis trifft auch auf die Zusammenarbeit zwischen Kita-Leitung und Träger zu. Die pädagogische Fachkraft im Gruppendienst nimmt die Position und Verantwortlichkeiten der Leitungskräfte als enorme Entlastung wahr. Fühlt sich die Fachkraft überfordert, kann sie die Verantwortung an die Leitungskraft übertragen. Wie im Beispiel des Elterngesprächs.
Die Leitungskräfte hingegen arbeiten eher autark und örtlich getrennt von ihren Vorgesetzten. Wenn regelmäßiger Austausch und Unterstützungsangebote zwischen Leitungskraft und Träger vorhanden sind, trägt das zur Zufriedenheit bei. Auf der anderen Seite berichteten Leitungskräfte, dass sie Aufgaben übertragen bekommen haben, die sie als überfordernd wahrnahmen und dazu kein Unterstützungsangebot oder Feedback vom Träger erhielten. Das wiederum trägt zu Unsicherheit und Unzufriedenheit bei.
Können Sie noch weitere Beispiele nennen, die aufzeigen, wo sich die Fachkräfte klare Strukturen bei gleichzeitig selbstbestimmtem Handeln wünschen?
Fachkräfte nehmen sich in ihrer Arbeit als selbstbestimmt wahr. Gleichzeitig rahmen einige Spannungsfelder die frühpädagogische Arbeit und können zu Irritationen führen, zum Beispiel über Qualitätsansprüche. In der Diskussion um Professionalisierung und Qualität wird wiederkehrend über das Ausbildungsniveau der Fachkräfte gesprochen, gleichzeitig werden personelle Engpässe vielfach durch ungelernte Kräfte ausgeglichen. Hier besteht ein Widerspruch. Durch transparente Verantwortungsbereiche für gelernte und ungelernte Kräfte könnte diesem Widerspruch entgegengewirkt werden.
Ebenso verhält es sich mit der Kontinuität des Betreuungspersonals, welches als die zentrale Grundlage für Bildungs- und Bindungsprozesse gilt. In der Praxis werden Fachkräfte hingegen oft mit befristeten Verträgen eingestellt, was zu Unsicherheiten für die Beschäftigten führt. Nicht nur für die befristet angestellte Fachkraft, sondern auch für das Team, welches in einer Ungewissheit über die zukünftige Teamzusammensetzung arbeitet.
Welche Rolle spielen da die noch unscharf definierten Berufsfelder von Erzieher*innen und Kindheitspädagog*innen?
Diese Frage schließt sich der Beantwortung der vorherigen Frage an: Eine transparente Definition der einzelnen Berufsfelder findet sich in der Praxis aktuell noch selten. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass Kindheitspädagog*innen mit abgeschlossenem Studium in frühpädagogischen Einrichtungen als Erzieher*innen arbeiten. Diese Berufsbezeichnung bildet jedoch nicht das Studium und den Abschluss der Kindheitspädagog*innen ab. Hier wäre es besonders wichtig, eine klare Definition der einzelnen Berufsfelder herzustellen, um Anreize zum Studium der Kindheitspädagogik zu sichern. Es stellt sich sonst die Frage, warum Fachkräfte Kindheitspädagogik studieren sollten, wenn sie mit Abschluss des Studiums in einem Ausbildungsberuf arbeiten und auch die gleiche Tätigkeit in der Einrichtung ausüben.
Das Kita-Qualitätsgesetz steht vor der Umsetzung: vier Milliarden Euro sollen vor allem in den Personalausbau fließen. Wie sehen Sie das Gesetz mit Blick auf Ihre Forschungserkenntnisse und wie kann es gelingen, das Personal zu gewinnen bzw. junge Menschen für das Berufsbild zu begeistern?
In Hinblick auf meine Forschungsergebnisse und auf die Qualität von Kindertageseinrichtungen ist unter anderem die Stärkung der Leitungskompetenz eine unumgängliche Voraussetzung. Zum einen zeigen Untersuchungen, dass die Attraktivität einer Leitungsposition abnimmt, zum anderen verdeutlichen Forschungsergebnisse, dass die Führung einer Einrichtung sich nachweislich auf die Qualität der frühpädagogischen Arbeit auswirkt.
In diesem Zusammenhang wäre auch die Anhebung des Personalschlüssels oder auch der gezielte Einsatz von fachlich einschlägigen Fachkräften wie. Kindheitspädagog*innen, Motopäd*innen ein gutes Mittel, um die Qualität der frühpädagogischen Arbeit zu sichern. Frühpädagogische Fachkräfte wollen vor allem mit Kindern arbeiten, doch im Alltag zeigt sich häufig, dass der Anteil dieser Arbeit verhältnismäßig gering ausfällt, weil der Personalmangel wenig zeitliche Ressourcen für die Beschäftigung mit den Kindern lässt. Untersuchungen zeigen, dass die Relation von Fachkräften und Kindern unterhalb der empfohlenen Relation liegt und Leitungskräfte angeben, dass sie im zurückliegenden Jahr 20 Prozent der Zeit in einer personellen Unterbesetzung gearbeitet haben. Da bleibt nicht mehr viel Zeit für die individuelle Arbeit mit den Kindern. Die Anhebung des Personalschlüssels, insbesondere auch um Kindern mit besonderen Bedürfnissen gerecht zu werden, ist daher aus meiner Sicht unumgänglich. Gleichzeitig muss in eine gute Organisation der Mitarbeiter*innen vor Ort investiert werden, damit die Maßnahmen im Alltag Früchte tragen. Nur, weil mehr Fachkräfte in den Einrichtungen sind, verbessert sich nicht automatisch die Qualität. Es bräuchte Strukturen, die gezielte Angebote und Zuständigkeiten sicherstellen. Am Ende sind wir dann wieder bei Maßnahmen zur Qualitätssicherung durch Leitungskräfte und Träger. Es müsste darauf hingewirkt werden, dass Fachkräfte der Arbeit nachgehen können, für die sie sich vor ihrer Ausbildung entschieden haben: Die Arbeit mit den Kindern. Darüber hinaus braucht es verlässliche Strukturen, unbefristete Verträge und Kontinuität in den Teams, um den Kopf frei zu haben für die eigentliche Arbeit.
Wissen Sie schon, wie es beruflich für Sie weitergeht? Bleiben Sie der Wissenschaft treu?
Auf jeden Fall bleibe ich der Wissenschaft treu. Es gibt viele Fragen, die sich an meine Promotion anschließen: So würde es mich interessieren, inwieweit Strukturen bei Trägern vorhanden sind und ob Fachkräfte diese in der Einrichtung wahrnehmen. Gleichzeitig interessiert mich, wo auf Seiten der Träger transparente Strukturen vorhanden sind, um die Begleitung und Unterstützung der Leitungskräfte sicherzustellen. In diesem Zusammenhang wäre es spannend zu erfahren, wie diese Strukturen von Leitungskräften wahrgenommen werden.
Eine weitere Frage ist, ob es anhand vergleichbarer Berufsfelder denkbar wäre, definierte Berufsfelder (Erzieher*in – Kindheitspädagog*in) innerhalb einer Einrichtung herzustellen und mit entsprechenden Verantwortlichkeiten zu organisieren.
Wenn wir darüber sprechen fällt mir auf, wie viele spannende Fragen sich im Zuge der Qualitätsentwicklung und Professionalisierung des frühpädagogischen Bereichs auftun und wie notwendig die weitere Erforschung dieser organisatorischen Fragen ist.
Frau Dr. Ruppert, vielen Dank für das Interview! (Interview: Verena Kukuk)