Gütersloh, 13. Dezember 2024. Ganz klein war vor vier Jahren die erste „Open-Air-Adventsfeier“ der Diakonie-Wohnungslosenhilfe (WLH) gestartet, mit wenigen Stehtischen und auf Abstand, als Notbehelf in Corona-Zeiten. Inzwischen hat sich aus dem Provisorium ein ansprechender Weihnachtsmarkt mit mehreren Ständen entwickelt. Mehr als 200 Gäste genossen am Donnerstag die gemütliche Atmosphäre auf dem Platz vor dem „Café Kanne“ in Güterslohs Kirchstraße 10b. Auch Henning Matthes, 1. Beigeordneter der Stadt Gütersloh, war wie in den Vorjahren vor Ort und hörte sich die Sorgen und Nöte von Betroffenen an. Präsentiert wurde außerdem ein „Kältebus“ des DRK. Er kommt am 23. Dezember 2024 erstmals zum Einsatz.
Ob Bratwürstchen, Pilzpfanne oder Heißgetränke: Für die Klientinnen und Klienten der Wohnungslosenhilfe waren am Donnerstag alle Angebote kostenlos. Sie fanden Sitzgelegenheiten unter Pavillons oder an Bistrotischen, um in Ruhe zu speisen und miteinander ins Gespräch zu kommen. Ein Feuerkorb spendete wohltuende Wärme.
Viele freuten sich außerdem über Geschenktüten im Wert von insgesamt 3.000 Euro sowie weitere Sachspenden und Eintrittskarten, gesponsert von Gütersloher Geschäften und der Gütersloher Tafel.
Was den Leiter der Wohnungslosenhilfe der Diakonie, Jan Sassenberg, besonders begeisterte: „Neben den Klienten unserer Beratungsstelle konnten wir eine große Zahl an Menschen aus den städtischen Notunterkünften erreichen.“ Wohnungslose und Sozialleistungsbezieher seien durch die gestiegenen Lebenshaltungskosten besonders belastet. „Das Geld reicht hinten und vorn nicht“, erklärte er. „Umso dankbarer sind wir, die Menschen nicht nur mit einer schönen Feier, sondern auch mit Lebensmitteln und Gutscheinen im Wert von jeweils 20 Euro beschenken zu können.“
„Hand in Hand da helfen, wo die Not am größten ist“
Wie ernst die Situation für Menschen ohne eine feste Bleibe ist, machte auch Karsten Stüber, Vorstand der Diakonie Gütersloh, deutlich: „Wohnungslosigkeit ist neben Hunger die wohl äußerste Form der Armut. Als Diakonie wollen wir Hand in Hand mit den anderen sozialen Trägern da helfen, wo die Not am größten ist.“
Die Fachberaterin der Wohnungslosenhilfe, Friederike Schleiermacher, ergänzte: „Für Menschen auf der Straße ist jeder Tag ein Kampf ums Überleben.“ Kälte, Schlafmangel, Gewalt, Suchtmittelentzug und die ständige Suche nach einem sicheren Ort für die Nacht seien extrem belastend.
Sichtlich betroffen berichtete ihr Kollege Lennart Obenhaus von der Brutalität auf der Straße: „Am Bahnhof Gütersloh wurde gerade einer unserer Klienten – ein liebenswerter älterer Mann ohne festen Wohnsitz – zusammengeschlagen, weil er seine gesammelten Pfanddosen nicht an einen Betrunkenen herausgeben wollte.“
Kältebus ergänzt Arbeit der Wohnungslosenhilfe
Im Rahmen der Adventsfeier der Diakonie stellte Dennis Schwoch, Vorstand des DRK-Kreisverbands Gütersloh, das neue „Projekt Kältehilfe“ vor. Es soll die Arbeit der Wohnungslosenhilfe ergänzen. Bei dem vorgestellten Kältebus handelt sich um einen umgebauten Fiat Ducato, der auch für die Versorgung von Feuerwehrleuten bei größeren Einsätzen oder in allgemeinen Krisensituationen genutzt wird. Ein Team aus zwölf Ehrenamtlichen des DRK steht bereit, um im Winter verschiedene Orte im Kreis anzufahren, bedürftige Menschen nach Bedarf mit warmen Speisen und Getränken zu versorgen, bei akuten Problemen Erste Hilfe zu leisten und ins Gespräch zu kommen. Erster fixer Termin: Am 23.12. steht der Kältebus von 19 bis 21 Uhr auf dem Bahnhofsvorplatz in Gütersloh.
„Nicht wegschauen“
Gerade alkoholisierte Menschen kühlen schnell aus. Das kann auch bei Temperaturen über null Grad tödlich sein. „Wir bitten alle Mitbürgerinnen und Mitbürger, nicht einfach wegzuschauen, wenn ein Mensch bei kalten Temperaturen reglos auf einer Parkbank liegt“, so Jan Sassenberg. „Bitte sprechen Sie die Menschen an und rufen Sie im Zweifel einen Notarzt.“
Die Wohnungslosenhilfe selbst bietet mit ihrem „Café Kanne“ in der Kirchstraße eine Wärmestube, in der sich Wohnungslose vormittags bei heißen Getränken aufwärmen können.
Immer weniger Sozialwohnungen
Kältehilfen sind kurzfristige Notmaßnahmen. Die Wohnungsnot für Menschen, die von Armut betroffen sind, werde sich in den nächsten Jahren drastisch verschärfen, erklärte Sassenberg. Ein wesentlicher Grund: Die Mietpreisbindung der Sozialwohnungen der 60er und 70er Jahre falle nun weg. Der Bestand an Sozialwohnungen in Gütersloh werde deshalb in den nächsten fünf Jahren auf unter 1.000 Wohnungen schrumpfen und sich damit mehr als halbieren. Bis 2035 sei sogar eine Verringerung auf ein Drittel absehbar, wenn kein neuer Sozial-Wohnraum hinzukomme.* „Ohne neue Sozialwohnungen kann nicht einmal eine Armee von Sozialarbeiter*innen Menschen von der Straße kriegen“, betonte der Leiter der Wohnungslosenhilfe. „Denn jede Überwindung sozialer Not beginnt mit einem Dach über dem Kopf.“
Eine Antwort: das „Housing First“-Förderprogramm
In diesem Zusammenhang wies Benjamin Varnholt, Geschäftsbereichsleiter der Beratungsdienste der Diakonie, auf ein besonderes Förderprogramm hin: „Wir wünschen uns sozial engagierte Vermieterinnen und Vermieter, die bereit sind, eine 30 bis 50 Quadratmeter große Wohnung an einen wohnungslosen Menschen zu vermieten.“ Die Miete zahle das Jobcenter, und der Landschaftsverband Westfalen-Lippe biete im Rahmen des sogenannten „Housing First“-Programms einen attraktiven Sanierungszuschuss von bis zu 30.000 Euro plus großzügige finanzielle Absicherungen für Mietausfälle oder Beschädigungen. Die Mieterinnen und Mieter würden außerdem von Sozialarbeitern der Diakonie vermittelt und betreut, sodass es bei Problemen immer einen Ansprechpartner gebe. Interessierte Vermieter können sich gern von der Wohnungslosenhilfe beraten lassen (Telefonischer Kontakt: 05241/9867 3200).
„Schön, dass Du noch lebst“
Immer wieder passiert es, dass die Mitarbeiter*innen der Wohnungslosenhilfe den Kontakt zu einzelnen Klient*innen verlieren. „Wenn diese dann nach einigen Wochen wieder auftauchen, ist das jedes Mal eine Erleichterung“, so Jan Sassenberg. „Oft begrüße ich Sie mit dem Ausruf: ‚Schön, dass Du noch lebst!‘ – Und das meine ich auch so. Denn, wie der alte Friedrich von Bodelschwingh zu sagen pflegte: Es geht kein Mensch über die Erde, den Gott nicht liebt.“