Es war der 14. Dezember 2022, wenige Tage vor Weihnachten, als Annegret Müller erfahren hat, dass sie Brustkrebs hat. Sie hatte früher als geplant aufgehört zu stillen und dadurch regelmäßig Schwellungen in der Brust. Weil eine dieser Schwellungen nicht zurückging, entschloss sie sich, zu ihrem Gynäkologen zu gehen.
„Der hat mich dann gleich zur Mammographie geschickt, ein paar Tage später saß ich mit meinem Freund und meinem Baby in seiner Praxis und habe erfahren, dass ich einen hochaggressiven Tumor in der Brust habe“, sagt sie. Erst stand die Zeit still, dann der Gedankensturm: „Was passiert, wenn der Tumor schon gestreut hat, was ist mit meiner Tochter, wenn ich das hier nicht schaffe, mir gingen tausend Gedanken gleichzeitig durch den Kopf“, sagt sie. Annegret Müller wollte so schnell wie möglich raus aus dieser Ohnmacht, wollte handeln und möglichst wenig fühlen. „Meine Ärzte waren in dem Moment eine große Stütze für mich, weil die mich runtergeholt haben und gesagt haben, ein Schritt nach dem anderen.“

Annegret Müller hat im September eine neue Gruppe von Lebensheldin e.V. gegründet. Der Verein hat das Ziel, Frauen Zuversicht für ein Leben nach Brustkrebs zu schenken.
Die Gruppe trifft sich jeden 1. Mittwoch im Monat um 18.30 Uhr auf dem Meierhof Rassfeld. Anmeldungen über anne119@web.de
Ihr Gynäkologe Dr. Wolfgang Bublak überweist sie in das Kooperative Brustzentrum im Klinikum Gütersloh. Dr. med. Wencke Ruhwedel und ihr Team diskutieren Müllers Fall in der Tumorkonferenz und entwickeln gemeinsam mit weiteren Krebsspezialisten einen Therapieplan. Breast Care Nurse Ute Funcken bespricht in Ruhe mit der jungen Familie, was jetzt auf sie zukommt. „Das war enorm wichtig für uns, die einzelnen Schritte zu verstehen und zu wissen, da ist jemand, den man immer ansprechen kann.“ Im Januar startet Annegret Müller mit der Chemotherapie. Sie dient unter anderem dazu, den Tumor vor der Operation zu verkleinern. Annegret Müller bekommt einen Port unterhalb des Schlüsselbeins gelegt. Ein Zugang, durch den die chemotherapeutischen Medikamente als Infusion gegeben werden. „Das war wirklich kein Spaziergang. Ich habe zwei unterschiedliche Medikamente bekommen und mir ist teilweise so schlecht gewesen, dass ich weder trinken noch schlucken konnte. Dann sind mir die Haare ausgefallen.“
Annegret Müller geht von Anfang an offen mit ihrer Brustkrebserkrankung um: „Ich wollte nicht, dass sich irgendjemand in meiner Gegenwart unwohl fühlt, weil er sich nicht traut, mich nach meiner Krankheit zu fragen. Wir waren ja gerade in ein neues Haus gezogen, und ich habe auch den Nachbarn erzählt, dass ich Brustkrebs habe.“
Sie kauft sich gleich zwei verschiedene Perücken: „Eine mit einem Bob, wie ich es früher hatte, eine mit langen Haaren, weil ich mir das früher immer gewünscht habe.“ Im Juli kommt die Operation: „Da war der Tumor durch die Chemotherapie schon fast unsichtbar.“ Annegret Müller entscheidet sich, das gesamte Brustgewebe entnehmen zu lassen und durch ein Implantat zu ersetzen. „Das war für mich ganz klar. Ich wollte einfach ganz sicher sein, deshalb sollte alles raus. Ich habe Frauen kennengelernt, die sich die Brust ganz haben abnehmen lassen, aber das wäre für mich nicht in Frage gekommen, weil ich mich nicht mehr weiblich gefühlt hätte. Da muss jeder für sich den richtigen Weg finden.“
Wenn Annegret Müller auf das vergangene Jahr blickt, sieht sie nicht nur die Krankheit, sondern auch die große Unterstützung, die sie bekommen hat. Ihre Eltern und Schwiegereltern, die auf ihre kleine Tochter aufgepasst haben. Ihr Freund, der sie zu jeder Chemotherapie gefahren und wieder abgeholt hat und bei jeder wichtigen Entscheidung an ihrer Seite war. Die Chefärztin im Krankenhaus, die eigenhändig bei der Krankenkasse angerufen hat, weil die Bewilligung für den Wiederaufbau ihrer Brust noch nicht da war. Ihr Gynäkologe, der ihr noch am Abend die gute Nachricht überbracht hat, dass sie keine Metastasen hat. Die Haushaltshilfe, die ihr geholfen hat, den Alltag zu bewältigen. „Natürlich ging es mir oft richtig fürchterlich, das habe ich nie versucht zu verbergen. Manchmal habe ich gesagt, ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr, aber es gab auch ganz viele gute Momente.“
Annegret Müller ist eine attraktive Frau, hat immer schon auf ihre Ernährung geachtet und viel Sport gemacht: „Darum habe ich mich schon gefragt, warum habe ausgerechnet ich Krebs, andere trinken oder rauchen, achten überhaupt nicht auf sich und die haben keinen Krebs.“ Maren Poesdorf ist Gynäkologin und Fachärztin für Gynäkologische Onkologie und Kooperationspartnerin des Brustzentrums am Klinikum Gütersloh. Hier hat Annegret Müller ihre Chemotherapie bekommen. „Sie ist immer eine wichtige Stütze für mich gewesen, und zwar jederzeit auch zwischen den Terminen.“ Nach der Operation hat sie noch eine Antikörpertherapie bekommen.
„Seit April ist mein Körper auf sich allein gestellt“, sagt Müller. „Anfänglich habe ich bei jedem Ziepen Panik bekommen und gedacht der Krebs ist zurück. Dank meiner Ärzte habe ich gelernt auf meinen Körper zu vertrauen.“ Es tut ihr gut, etwas für sich zu tun. „Ich mache wieder regelmäßig Sport, esse viel Obst und Gemüse, weniger Zucker.“ Trotzdem gibt es Momente, in denen die Angst in ihr hochsteigt: „Das ist dann bei mir gleich wie ein Gewitter im Kopf, mit dutzenden Gedanken gleichzeitig.“
Sie trifft sich regelmäßig mit einer Clique aus Frauen, die zusammen mit ihr die Chemotherapie gemacht haben. „Da ist zum Beispiel Doris, wir hatten immer zur gleichen Zeit Chemo, irgendwann haben wir unsere Termine gleich zusammen gemacht. Wir sind füreinander da, wenn eine einen Panikanfall bekommt oder eine Krise hat. Aber viel wichtiger ist, dass wir zusammen lachen können, dass wir offen miteinander sprechen können.“
Alle drei Monate muss Annegret Müller zur Kontrolluntersuchung. „Das klingt komisch, aber rückblickend bin ich froh, das alles durchgemacht zu haben, weil sich dadurch für mich auch so viel Gutes ergeben hat“, sagt sie. „Ich habe ganz viele Pflichten aus meinem Leben gestrichen. Ich gehe nicht mehr auf Feiern, auf die ich keine Lust habe. Ich mache Pausen, wenn ich sie brauche, ich verstelle mich weniger und ich habe viele besondere Menschen kennengelernt.“
Seit April ist ihre Therapie abgeschlossen. Seitdem werden die Momente, in denen sie nicht an ihre Krankheit denkt, immer mehr. „Ich bin viel mehr als meine Diagnose. Ich habe mich und meine Ziele, Wünsche und Träume in den vergangenen Monaten sehr gut kennengelernt und dieses Gefühl möchte ich anderen weitergeben.“