Im dritten Stock des Hauptgebäudes der HSBI findet sich hinter Tür Nr. C329 das Wirtschaftspsychologische Labor. Seit 13 Jahren ist es fester Bestandteil des Fachbereichs Wirtschaft. Aber woran wird dort eigentlich geforscht? Und wie? Eliza Starke vom HSBI-Projekt InCamS@BI informiert sich über die zahlreichen Möglichkeiten.
Bielefeld (hsbi). Bunt gefüllte Glasbehälter, spektakuläre Mikroskope oder Laserapparaturen sucht man in hier vergebens – dafür erinnern die Räume eher an die Verhörsituation, wie sie aus Kriminalfilmen bekannt ist. Was es mit dem Wirtschaftspsychologischen Labor auf sich hat, erfährt heute Eliza Starke. Die Wissenschaftlerin ist Referentin für Wirtschaftspsychologie im Transferprojekt InCamS@BI, dem Innovation Campus for Sustainable Solutions. In der InCamS@BI-Forschungsgruppe Wirtschaftspsychologie bringt sie sich gemeinsam mit den Mentoren Prof. Dr. Manuel Stegemann, Prof. Dr. Gerrit Hirschfeld und Prof. Dr. Sybille Reichart ein. Das Team sondiert die Möglichkeiten, das Labor für InCamS@BI einzusetzen.
(Nachhaltige) Produkte auf dem Prüfstand
Nachhaltige Lösungen im Bereich Kunststoffe zu finden, ist das Ziel von InCamS@BI – und Nachhaltigkeit das Herzensthema der Doktorandin Eliza Starke. Sie ist seit diesem Jahr Teil des Projekts InCamS@BI an der HSBI. Ihr Job als Referentin für Wirtschaftspsychologie: Usability-Tests durchführen, Fokusgruppen begleiten, Einstellungen von Konsumentinnen untersuchen, Prozesse begleiten – kurz gesagt: Verhaltensforschung. „InCamS@BI ist ein sehr interdisziplinäres Projekt, in dem es um Kunststoffe und zirkuläre Wertschöpfung geht. Meine Kolleginnen und Kollegen bringen beispielsweise die technische und rechtliche Perspektive ein. Das kann ich gut ergänzen, denn ich untersuche und kenne die Sicht der Anwenderinnen und Anwender. Die Anwendersicht auf innovative Kunststoffe oder Kunststoffprodukte sollte nicht erst am Ende berücksichtigt werden, sondern von Beginn an. Ist der Kunststoff, ist das Produkt überhaupt anwenderfreundlich? Leicht zu bedienen? Zu verstehen? Nützlich?“, fragt Starke. Sie wird dabei helfen, Antworten darauf zu finden.
Spontan kann sie sich vorstellen, die Wirkung verschiedener Verpackungsalternativen im Labor zu untersuchen: „Wir könnten verschiedene Möglichkeiten zum Verpacken auslegen: Jutebeutel, Netze, Plastiktüten und solche aus Biokunststoffen. Unsere Testpersonen bekommen dann die Aufgabe, ihre Einkäufe am zweckmäßigsten einzuräumen – und dabei über ihre Entscheidung zu sprechen“, überlegt Starke. Das Forschungsziel der Untersuchung könnte darin bestehen, das Verhalten von Verbraucherinnen und Verbrauchern gegenüber verschiedenen Verpackungsmaterialien zu beobachten und herauszufinden, welche Materialien die höchste Zustimmung finden.
Der Einwegspiegel zwischen dem Untersuchungs- und dem Beobachtungsraum gewährleistet, dass die Testpersonen während der Beobachtung nicht gestört oder beeinflusst werden. Die Beobachtungskriterien beinhalten das Verhalten der Versuchspersonen, beispielsweise ihre Produktwahl und die Handhabung der Verpackung, sowie die Begründung für ihr Verhalten. Ziel ist es laut Starke, Trends und Muster im Verhalten der Testpersonen zu identifizieren und Gründe für ihre Auswahl zu ermitteln. Das könnten beispielsweise Umweltauswirkungen, Funktionalität und Ästhetik sein. Die Ergebnisse der Verhaltensbeobachtung können dazu beitragen, bestehende Forschungslücken zu schließen, neue Konzepte zu validieren und Handlungsempfehlungen für Unternehmen zu liefern.
Welche Methode ist die richtige?
Das Spezialgebiet von Prof. Dr. Gerrit Hirschfeld sind Forschungsmethoden und Diagnostik. Der Psychologe weiß: „In der Sozialwissenschaft gibt es eine große Diskrepanz zwischen der Gültigkeit von Fragebögen und Beobachtungen. Das spiegelt die sogenannte Attitude-Behaviour-Gap wider – Menschen berichten das eine, tun aber eigentlich das andere. Deshalb ist es in der Forschung erforderlich, den Fokus von einfachen Fragen wie ‚Wie wichtig ist Ihnen Umweltschutz?‘ auf die Untersuchung der tatsächlichen Entscheidungen von Personen zu verlagern: Wann sind Menschen bereit, mehr Geld für umweltschonende Produkte auszugeben? Die Schwierigkeit bei Befragungen ist beispielsweise, dass sie voraussetzen, dass Menschen wissen, warum sie was tun. Aber: Menschen sind generell nicht gut darin, ihre Fähigkeiten und ihr Handeln korrekt zu beschreiben – oft halten wir uns für viel rationaler als wir eigentlich sind. Forschende hingegen können feststellen, wie sich die Personen tatsächlich verhalten.“ Perfekt für die Identifizierung von solchem Verhalten: das Wirtschaftspsychologische Labor.
In den Räumlichkeiten hat Hirschfeld schon verschiedene Studien durchgeführt: „Unser Ziel ist es, den Studierenden möglichst viele Methoden nahezubringen, damit sie wissen, was überhaupt möglich ist. Viele Studierende führen hier ihre Abschlussarbeiten eigenverantwortlich durch.“ Auch Bewerbungsgespräche oder Tests für Führungskräfte und Entscheidungsträger kann das Team hier auf den Prüfstand stellen: Die Forschenden beobachten, wie die Teilnehmer in bestimmten Gesprächssituationen agieren, reagieren und wirken. Für die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat Hirschfeld beispielsweise untersucht, wie sich das Stresslevel von Menschen erhöht, wenn Webseiten künstlich verlangsamt wurden. Dabei zeigt sich, dass schon wenige hundert Millisekunden Verzögerung ausreichen, um physiologisch messbaren Stress auszulösen und die Bewertung der Webseiteninhalte insgesamt stark zu verschlechtern.
Konsumverhalten und Entscheidungen verstehen
Zu dem Team, das sich heute im Labor der Wirtschaftspsychologie trifft, gehört auch Prof. Dr. Manuel Stegemann. Er hat das Labor schon genutzt, um mit Studierenden die Werbewirkung von aufmerksamkeitsstarken Triggern wie Humor oder Erotik zu untersuchen. Das Fazit: Starke Trigger fördern nur dann die Werbewirkung, wenn Reiz und Produkt sinnvoll in Verbindung miteinander stehen. Wenn der Bezug hingegen fehlt, kann es sogar zum sogenannten Vampir-Effekt kommen: Dann zieht der Reiz so viel Aufmerksamkeit, dass die Werbung nicht wirkt, die Marke nicht in Erinnerung bleibt und das Produkt am Ende auch nicht gekauft wird.
Das Labor bietet neben stationären auch mobile Möglichkeiten: „Wenn man die 1980er Jahre mag, ist das hier vielleicht einfach eine stylische Brille – allerdings mit Kamera und Mikrofon, kleinen Sensoren und Kameras, die auf das Auge gerichtet sind“, schmunzelt Stegemann und hält den mobilen Eyetracker hoch, den Starke sofort ausprobiert. Der Psychologe mit dem Studienschwerpunkt Markt- und Werbepsychologie führt aus: „Der Eyetracker arbeitet mit zwei Kameras. Eine Software kann auf Basis der Kamera, die nach vorne gerichtet ist, und derjenigen, die auf das Auge gerichtet ist, errechnen, wohin man gerade schaut.“ So können verhaltenswissenschaftliche Beobachtungen nicht nur im Labor, sondern auch außerhalb durchgeführt werden.
„Wir wollen wissen: Wie können wir Menschen dazu bringen, sich für nachhaltige Lösungen zu entscheiden?“
Stegemann und Hirschfeld schwebt schon lange die Idee vom „Bielefeld Center of Behavioural Science“, kurz BICEBS, vor. Die Wirtschaftspsychologie-Experten möchten mehr untersuchen als nur das Konsumverhalten: „Wir wollen wissen: Wie können wir Menschen dazu bringen, sich für nachhaltige Lösungen zu entscheiden? Wie können wir Marketing so gestalten, dass Kundinnen und Kunden das Bioprodukt kaufen? Das Rad nehmen? Den eigenen Kaffeebecher mitbringen?“ In dem Rahmen ist eine Studie mit dem mobilen Eyetracker denkbar, bei der es um das Marketingsetting in Mensen geht. Studierende der Wirtschaftspsychologie haben beispielsweise untersucht, wie sich das Konsumverhalten – vegetarisch oder mit Fleisch – beeinflussen lässt. Ihre Erkenntnis: Ein Hinweis auf die „Kollektive Wirksamkeit“ des eigenen Verhaltens macht die vegetarische Mahlzeit durchaus „attraktiver“.
Der Besuch im Wirtschaftspsychologischen Labor zeigt: Es gibt mehr als genug Möglichkeiten, sein Wissen über das menschliche Verhalten zu erweitern. Bei all den verhaltenswissenschaftlichen Fragen liegt es an den Forschenden, die richtige Methode auszuwählen. Welche Eliza Starke anwenden wird, ist noch unklar, aber das Projekt InCamS@BI ist auch erst in diesem Jahr gestartet und bis Ende 2027 gefördert. Die Perspektiven sind zahlreich.