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Wiederentdeckung einer mittelalterlichen Dachdeckungsart in Westfalen

LWL-Bauforscher rekonstruieren seltenen Fund

Münster (lwl). Die Bauforschung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) hat am Dienstag (23.7.) ein bedeutendes Experiment durchgeführt, um den größten mittelalterlichen Ziegelfund in Westfalen zu analysieren und zu rekonstruieren. Um die Funde interpretieren zu können, haben die Bauforscher diese gemeinsam mit Fachleuten aus der Archäologie, Denkmalpflege und Architektur in einer seltenen Großaktion begutachtet, sortiert und zusammengefügt.

Die Dachziegel aus dem 14. Jahrhundert wurden bei bauhistorischen Untersuchungen im Dachraum der Evangelischen Kirche in Borgholzhausen (Kreis Gütersloh) entdeckt und stellen aufgrund der Form einiger Ziegel einen außergewöhnlichen Fund dar. Die Forscher haben so eine in Vergessenheit geratene mittelalterliche Dachdeckungsart in Westfalen wiederentdeckt und konnten Neues zur Geschichte der Dachkonstruktionen in Westfalen beitragen.

 

Nach dem Sortieren schauen sich die Bauforscher die Ziegel mit dem zusätzlichen Innenzapfen genauer an.
Foto: LWL/Maike Anneken.

Insgesamt 20 Eimer voller Ziegelfragmente konnten die Bauforscher bergen. “Es ist damit der bisher größte mittelalterliche Ziegelfund in einem westfälischen Bauwerk”, hebt Dr. Michael Huyer, Referatsleiter der Bauforschung der LWL-Denkmalpflege, hervor. Die Reste gehören zu einer sogenannten Mönch-Nonne-Deckung, bei der unterschiedlich geformte Rinn- und Deckziegel übereinandergelegt werden. “Außergewöhnlich ist, dass ein Teil der Ziegel einen zusätzlichen Zapfen und einen besonderen Kalottenabschluss aufweist. Dafür ist mir in ganz Deutschland bisher nur ein Vergleichsbeispiel im niedersächsischen Uelzen bekannt”, so Huyer.

“Wir hatten das große Glück, dass wir auch Mörtelreste gefunden haben, das ist einmalig”, freut sich LWL-Bauforscher Peter Barthold. “Dadurch konnten wir ausprobieren, wie die Ziegel ineinandergegriffen haben müssen.”

Über die prozentuale Anzahl der jeweiligen Ziegelarten konnte das Team hochrechnen, dass das Dach aus verschiedenen Deckungsarten bestanden haben muss. “Wir vermuten daher, dass die uns bisher unbekannte Art der Ziegeleindeckung in Borgholzhausen möglicherweise nur in Teilbereichen des Daches zum Einsatz kam”, so Barthold. “Die Oberfläche des Tons ist kaum abgenutzt, vielleicht wurde sie nur als Übergangslösung genutzt oder war auf Dauer zu aufwendig. Wir werden hier auf jeden Fall weiter forschen.”

Das Alter der Dachkonstruktion konnte mit Hilfe der Dendrochronologie der Holzaltersbestimmung in das zweite Viertel des 14. Jahrhundert datiert werden. Beifunde wie Werkzeuge, Spielsteine, Scherben von Trink- und Essgeschirr, die die damaligen Handwerker bei der Neudeckung verloren haben, weisen darauf hin, dass die Ziegel bereits im 15. oder 16. Jahrhundert durch eine Schieferdeckung ersetzt wurden. “Der Fund ist ein großer Glückfall für uns,” erklärt Christian Eckey, Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Borgholzhausen. “Wir freuen uns über die neuen Details zur Geschichte unserer schönen Kirche.”

Mehr über das Feld der Bauforschung ist vom 2. bis 24. September in der Ausstellung “Baugeschichte(n) – Aus der Arbeit der westfälischen Bauforschung” im LWL-Landeshaus in Münster zu sehen.

 

Deckziegel mit ungewöhnlichem Kalottenabschluss und Kalkanhaftungen.
Foto: LWL/Maike Anneken.

Hintergrund Evangelische Kirche in Borgholzhausen
Bei der evangelischen Kirche in Borgholzhausen handelt es sich um eine einschiffige kreuzförmige Anlage mit Westturm aus geschlemmtem Bruchstein. Begleitend zur im Sommer 2023 begonnenen Dachsanierung hatten die Bauforscher des LWL-Denkmalfachamts umfassende bauhistorische Untersuchungen durchgeführt. Sie haben Holzproben genommen und dendrochronologisch ausgewertet. So konnten sie das Fälldatum der Hölzer und somit das Chordach auf um 1336 datieren. Die Dachziegel wurden im Zuge dieser Untersuchungen entdeckt und vor kurzem geborgen.

Hintergrund Hohlziegeldeckung
Die Hohlziegeldeckung ist aus rinnenförmigen Unterziegeln und die Rinnenränder überdeckenden Deckziegeln zusammengesetzt. Die Deckziegel können durch Kalkmörtel fixiert werden, der zugleich eine Abdichtung gewährleistet. Hierdurch hat die Deckung ein hohes Gewicht. Die Deckungsart, die volkstümlich auch als Mönch-Nonne-Deckung bezeichnet wird, ist seit dem Altertum bekannt. Der Fund aus Borgholzhausen ist der selten erhaltene Beleg einer mittelalterlichen Hohlziegeldeckung für Westfalen, wie man sie bisher nur von historischen Bildquellen her kannte. Als Vorläufer der S-Pfanne dürfte die “Mönch-Nonne-Deckung” nicht nur an hochrangigen Bauten verbreitet gewesen sein, sondern auch in Westfalen ganz wesentlich das Erscheinungsbild mittelalterlicher Städte geprägt haben.

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