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  • 15.12.2023
  • Ausgabe 95
  • RegioCarl

NEW YORK, Rio, Tokio, Paris, London, …Gütersloh

Matthias Kirchhoff Redakteurbild

Matthias Kirchhoff

Content-Redakteur

Josef Honcia

Ein Leben für den Jazz – Wie Gütersloh zur Jazzmetropole wurde

NEW YORK, Rio, Tokio, Paris, London, Rom, Amsterdam, Helsinki, Kopenhagen, Athen, Moskau, Warschau, Prag, Budapest, Berlin... Diese Städte sind allesamt Welt-Metropolen. Städte die niemals schlafen. Städte, in denen sich die Reichen und die Schönen regelmäßig treffen, in denen die größten Museen die Menschen begeistern und sich unbestritten das »Who is Who« reihenweise die Türklinke in die Hand gibt.
Fotos: Raimund Vornbäumen und Matthias Kirchhoff

Da muss sich doch Jeder ernsthaft fragen, warum unser schönes, beschauliches Gütersloh im gleichen Atemzug mit diesen Namen genannt wird! Geht es etwa wieder mal um Bertelsmann, als eines der größten Medienunternehmen auf unserer Erde? Oder um Miele, die in die ganze Welt ihre Waschmaschinen verkaufen? Oder um einen der anderen 20 Gütersloher Global Player …? Weitgefehlt, denn es geht um einen kleinen unscheinbaren, scheuen Mann, den die Gütersloher sicher schon einmal mit seinem Fahrrad, etwas mürrisch schauend, durch die Innenstadt haben flitzen sehen – es geht um Josef Honcia »himself«!

Josef Honcia Ein Leben für den Jazz – Wie Gütersloh zur Jazzmetropole wurde
Josef Honcia Ein Leben für den Jazz – Wie Gütersloh zur Jazzmetropole wurde

Es gibt sicher unzählige Menschen, die ihn noch nicht kennen, aber auch genauso viele, die wissen, warum wir vom Magazin Carl den aus Polen stammenden Magister der Pädagogik in seinem »Allerheiligsten« besuchen. Denn Josef Honcia ist der Grund, warum Gütersloh in einem Zug mit den obenstehenden Weltmetropolen genannt werden darf.

Josef hat es mit kleinsten finanziellen Mitteln und größtem persönlichen Engagement geschafft, Gütersloh in eine Stadt zu verwandeln, in der die Weltstars des Jazz, des Blues, Swing, Gospel, Chanson und der Weltmusik über fast drei Jahrzehnte regelmäßig live »on Stage« zu hören und zu sehen waren.

In der Zeit zwischen 1981 und 2008 schaffte es Josef Honcia, Superstars wie Miles Davis, Dizzy Gillespie, Ray Charles, Dave Brubeck, Pat Metheny, Eartha Kitt, B. B. King, Odetta, Juliette Gréco, Cesaria Evora oder auch singende Filmstars wie Hanna Schygulla und viele, viele mehr auf die Gütersloher Bühnen zu holen. Und sie kamen gerne, denn Honcia ist ein echtes Kommunikationsgenie, das jeweils im Handumdrehen die Herzen der Großen internationalen Stars eroberte und mit denen z.T sogar echte Freundschaften entstanden.

Sie traten im großen und im kleinen Saal der Gütersloher Stadthalle auf, im alten Theater (Paul-Thöne-Halle), sie spielten und sangen in der Aula des Städtischen Gymnasiums, in der Apostelkirche und der Martin-Luther- Kirche. Das Zentrum des Gütersloher Jazzwunders war allerdings der Saal des »JZ«, des städtischen Jugendzentrums, das früher gegenüber des Hauptbahnhofs stand.

Josef Honcia Ein Leben für den Jazz – Wie Gütersloh zur Jazzmetropole wurde
Josef Honcia Ein Leben für den Jazz – Wie Gütersloh zur Jazzmetropole wurde

Das Büro des Jugendzentrums war damals übrigens auch die Schaltzentrale des liebenswerten Egomanen und Jazzfans Josef Honcia. Und wenn er dort einen Blick in sein Notizbuch zuließ, standen da die Telefonnummern der berühmtesten Jazzmusiker und angesagtesten Konzertagenturen zwischen Gütersloh und New York. Gütersloh war, natürlich mit einem kleinen Augenzwinkern versehen, auch eine »Weltmetropole« des Jazz.

Heute lebt der Perfektionist und begnadete Entertainer mit fast 80 Jahren etwas zurückgezogener, in seiner ganz eigenen Welt irgendwo in Gütersloh. Eine Welt voller Musik, faszinierender Fotos, Vinyl-Schallplatten und Bücher, umgeben von alten Veranstaltungs-Plakaten und Widmungen der großen Stars von früher. Und natürlich der Erinnerungen daran, dass er als Veranstalter und Menschenkenner 27 Jahre Musikgeschichte in der »Jazz-City« Gütersloh geschrieben hat.

Wer Josef Honcia kennt, weiß auch, dass er bis auf den Mann, der den Gas- oder Wasserzähler abliest, niemanden in sein »Refugium « hineinlässt. Umso stolzer sind wir natürlich, dass wir diese »Ehre« tatsächlich erhalten haben. Und wir wären nicht das Magazin Carl, wenn wir zu dieser einmaligen Gelegenheit nicht auch eine »Überraschung« parat gehabt hätten.

Josef Honcia Ein Leben für den Jazz – Wie Gütersloh zur Jazzmetropole wurde
Josef Honcia Ein Leben für den Jazz – Wie Gütersloh zur Jazzmetropole wurde

Josefs Einverständnis vorausgesetzt, hatte Matthias Kirchhoff (Herausgeber des Magazins Carl), drei von Honcias engsten Wegbegleitern direkt mit eingeladen. Und so war die Freude groß, als die Drei mit vor der Haustür standen. Es war schließlich schon lange her, dass sich die Vier Jazz-Begeisterten mal bei Josef gemeinsam treffen konnten.

Es sind ja auch bereits 15 Jahre vergangen, seit die erfolgreichste Gütersloher Konzertreihe aller Zeiten ausgeklungen ist. Es dauerte auch nicht lange, und schon kamen die begeisternden Erinnerungen aus alten Zeiten bei Reinhard Fulde, Thomas Klingebiel, Raimund Vornbäumen und Josef Honcia hervor. Ein tolle Stimmung voller Geschichten, charmanter Anekdoten und musikalischer Emotionen.

Es fanden sich nun vier Personen, von denen man sagen kann: Da hat sich was gefunden, das schon immer zusammengehörte. Eine völlig verrückte Truppe, die zusammen die fantastischen Jahre der Superstar-Auftritte in Gütersloh organisierten und dies mit sensationellen Fotos, faszinierenden Texten für die damalige und die heutige Welt festhielten. Und dies tat jeder auf seine besondere Art.

Josef Honcia Ein Leben für den Jazz – Wie Gütersloh zur Jazzmetropole wurde
Josef Honcia Ein Leben für den Jazz – Wie Gütersloh zur Jazzmetropole wurde

Reinhard Fulde trat 1981 ins Rampenlicht, als er in der Tageszeitung(NW) las, dass in Gütersloh eine Jazz-Reihe entstehen sollte. Bei der allerersten Veranstaltung mit dem »Jazzpapst« Joachim Ernst Behrend, traf er auch noch Josef Honcia. Es passte zwischen den beiden auf Anhieb, und nach kurzer Zeit war Reinhard Fulde Josefs »Hilfssheriff«, denn er konnte als Lehrer am Stiftischen Gymnasium perfekt Englisch, und die Rechtschreibung lag ihm natürlich auch. So schrieb er alsbald Pressetexte und die Programmhefte. Durch seine Sprachkenntnisse war er auch schnell Teil der Organisation und der Künstlerbetreuung.

Josef und Reinhard machten das, nebst Catering, so gut, dass viele der berühmten Künstler sich so wohlfühlten und ihre »Aftershow Zeit« gerne bei den beiden zuhause verbrachten bzw. sogar einen Tag dafür früher anreisten.So entstand eine besondere Beziehung zwischen Reinhard und dem Bassisten Charlie Haden, früh bekannt geworden im legendären Ornette Coleman Quartett der sechziger Jahre, der später mit allen bekannten Jazzgrößen zusammenspielte. Reinhard traf ihn nicht nur bei seinen fünf Auftritten mit unterschiedlichen Formationen in Gütersloh und hatte ihn mehrfach bei sich zu Hause zu Gast, sondern erlebte ihn auch bei Konzerten europaweit in Den Haag, Rotterdam, Montreux oder Hamburg. Er wurde ein echter Freund.

Thomas Klingebiel freut sich über vergangene Highlights und das wiedersehen mit seinen drei alten Jazzfreunden
Auch Reinhard Fulde hängt Erinnerungen nach: Wo sind nur die Jahre geblieben?

Der zweite in dieser illustren Runde ist Raimund Vornbäumen, der ab 1991 für die »Neue Westfälische « immer wieder mit der Kamera bei all den Konzerten dabei war. Er hat sich geradezu darum gerissen, um ja keinen Auftritt zu verpassen und sensationelle Fotos »on Stage« entstehen zu lassen, die auch heute noch z.T. kleine Kunstwerke sind: Erst analog in Schwarz/Weiß und Farbe und später dann auch Digital. Fotografisch war für Raimund der Auftritt der Legende Miles Davis sein ganz persönliches Highlight. Musikalisch war es Roy Hargrove, ein Zauberer an der Jazz- Funktrompete.

Aber auch bei den vielen Proben der Superstars war Raimund Vornbäumen mit seiner Knipse vor Ort, bei denen einzigartige Fotos entstanden. Backstage ging es dann auch mal wilder zu, was Raimund inspirierte, herrliche, private Stimmungen einzufangen.

Die Nummer drei im Bunde ist Thomas Klingebiel. Ein begnadeter Textschreiber, der durch Zufall 1985-86 im Volontariat bei der »Neuen Westfälischen « in der Mittagpause durch die Stadt lief, wo ihm in einem uralten, völlig verwitterten Holz- Glasschaukasten die Plakate hochkarätiger Blues, Gospel, Swing- und Jazzkonzerte entgegensprangen. Da ihm auf Nachfrage in der Redaktion durch die Blume gesagt wurde, dass es für die Musikreihe keinen wirklichen Redakteur gab, sagte Thomas als echter Jazz-Fan sofort zu und schrieb ab diesem Zeitpunkt magische Texte zu fast allen Konzertveranstaltungen dieser phänomenalen Jazzreihe. In Kombination mit den Fotos von Raimund Vornbäumen wurde so eine einzigartige Kulturreihe der Öffentlichkeit präsentiert. Das Wichtigste war aber, dass Künstler, Fans und vor allem Josef Honcia von der Berichterstattung begeistert waren.

Josef Honcia Ein Leben für den Jazz – Wie Gütersloh zur Jazzmetropole wurde
Seine befreundeten Künstler waren Josef so  verbunden, dass sie ihm sogar ein riesiges Veranstaltungsplakat aus Talin nach Gütersloh mitbrachten

Ein wunderbarer Abend

An diesem Abend dauerte es nicht lange, und die drei langjährigen Mitstreiter von Josef schwelgten gemeinsam mit ihm in Erinnerungen. Josef kramte ein Erinnerungsstück nach dem anderen heraus, darunter so manche Rarität, erzählte von unglaublichen Erlebnissen mit den Musikern, und die drei fragten nach, bestätigten und ergänzten seine Erzählungen. Vielfach wurde herzhaft gelacht- Nostalgie pur!! – „Wie war das noch, als der verrückte Organist ausflippte, und wie hast du den bloß besänftigt?“ “Wie lange ließ der benebelte FreeJazz- Pianist das Publikum warten? (Es waren zwei Stunden…) Und wie habt ihr ihn dann bloß aus dem Hotelzimmer heraus bekommen?“. „Hast Du tatsächlich den berühmten Saxophonisten X tagelang im LKH besucht und ihn betreut?“ „Warum hast du eigentlich Y nie nach Gütersloh geholt?“ … Lange ging es so hin und her.

Voller Bewunderung durchforstete Josef immer wieder die kleine »Schatztruhe« mit SW-Fotos, die Raimund mitgebracht hatte. Welche einmaligen Dokumente, ja Schätze, die dank des JazzBlogs im Carl auch demnächst immer weiter gehoben werden können. So viele große Persönlichkeiten, so viele Individualisten, aber fast alle bei näherer Bekanntschaft nett und liebenswert. Viele Verträge mit den Musikern wurden quasi nur per Handschlag besiegelt, vielfach kamen sie außerplanmäßig, weil Gütersloh offiziell gar nicht auf ihrem Tourneeplan stand.

Josef Honcia Ein Leben für den Jazz – Wie Gütersloh zur Jazzmetropole wurde
Das Quartett - Josef Honcia Ein Leben für den Jazz – Wie Gütersloh zur Jazzmetropole wurde

Es gab aber natürlich auch, wenn auch sehr selten, unangenehme Zeitgenossen, aber damit möchten wir uns natürlich nicht die schöne Stimmung verderben. Bei Interesse kann Josef auch in einer der nächsten Carl Ausgaben über die berichten…

Sehr ungewöhnlich für eine Jazzreihe war sicher der Auftritt der vor allem durch ihre Filme mit Rainer Werner Fassbinder bekannt gewordenen Hanna Schygulla im Rahmen der kleinen Reihe »Women’s Voice«, in der u.a. Stars wie Juliette Greco, Eartha Kitt, Nina Simone und Odetta auftraten.

Was sich vorne auf der Bühne abspielte – das haben zahlreiche Gütersloher erlebt und können oft heute noch davon erzählen. Für Josef und seine drei Mitstreiter, aber auch für zahlreiche weitere Helfer (Fahrer, Bodyguards, Köche, Techniker, etc.) spielten sich eindrucksvolle Szenen natürlich auch backstage ab. Das waren Räumlichkeiten im oberen Bereich des JZ, Hinterzimmer bzw. Garderoben von Theater, Stadthalle etc. Hier kam es zu vielen unvergesslichen persönlichen Begegnungen. Die Fotos lassen wohl erkennen, welche gegenseitige Wertschätzung Josef und seine Künstler auszeichnete und weshalb so viele von ihnen immer wieder nach Gütersloh kommen wollten.

Das »schnurrende Kätzchen« Eartha Kitt - Backstage mit Josef
Verabschiedung 2008 durch Mitstreiter und „Fanbeauftragten“ Reinhard Fulde

Die Verabschiedung von Josef 2008 wurde von den Verantwortlichen bei der Stadt, vor allem aber von den Fans, gründlich vorbereitet und gebührend feierlich vollzogen. Die Fans hatten für ein großzügiges Geschenk lange gesammelt, natürlich gab es Blumen, huldigende Reden, Blumensträuße. Eine eigentlich unglaubliche Ära ging zu Ende, eine Zeit, die für viele der unmittelbar Beteiligten für einen Teil ihres Lebens prägend war. Die Bilder zeigen dabei dennoch eine vorherrschend fröhliche Stimmung. So recht glauben mochte eigentlich niemand, dass dies tatsächlich das Ende war …

Nicht zu vergessen sind die zahlreichen Fans, die teilweise als feste Stammgäste z.T. lange Anreisen zu den Konzerten nicht scheuten. Im unteren Bild sind bei Josefs Ansprache viele Gesichter zu erkennen, die regelmäßig in den ersten Reihen saßen. Einige von ihnen standen ebenfalls regelmäßig länger als eine Stunde vor Konzertbeginn vor dem JZ, bloß um ihren Stammplatz in der ersten Reihe wieder einnehmen zu können.

Treue Fangemeinde - Gebannt lauschende Fans: Josef bei einer seiner legendären Eröffnungsreden
Legendäre  Einführungsreden - Danke Josef

Das Bild zeigt übrigens auch das Ritual zu Beginn eines jeden Konzertes: Josefs feierliche Eröffnungsrede, die schnell Kultstatus erlangte. Es ging weniger um eine Einführung in das jeweils anstehende Konzert oder um die Verdienste der einzelnen Musiker, sondern um Josefs Visionen für kommende oder weitere noch zu planende Großereignisse, seine Träume (die sich oft erfüllten) und Erwartungen. Vor allem sprachlich waren diese Einleitungen urkomisch, wurden von Josef selbst schon bald wohl auch bewusst so inszeniert: Comedy zu Beginn eines Jazzkonzertes – unverwechselbar!

Eine einmalige Ära ging zu Ende, die sicher unwiederholbar ist. Für Josef Honcia war dies sein Lebenswerk, auf das er zu Recht stolz sein kann. Was für ihn sicher noch mehr gezählt hat als die Konzerterfolge, waren die persönlichen Begegnungen und Freundschaften mit vielen der berühmtesten(Jazz-) Musiker der Welt. Lohn waren nicht nur der Dank der Fans, sondern auch die zahlreichen, zum Teil schwärmerischen Freundschaftsbezeugungen der Künstler. Vielleicht kam das größte Kompliment von dem sonst so mit »Lob« zurückhaltenden Miles Davis: »Funny Guy!«

Josef Honcia Ein Leben für den Jazz – Wie Gütersloh zur Jazzmetropole wurde