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  • 26.07.2024
  • Ausgabe 101
  • RegioCarl

#JazzCityGT

-Blog 14 Charlie Haden
Reinhard Fulde Redakteurbild

Reinhard Fulde

Content-Redakteur

TEXT: REINHARD FULDE | FOTOS: RAINMUND VORNBÄUMEN

Ein großes Dankeschön an den Fotografen Raimund Vornbäumen für diese fantastischen Bilder, die er in der Jazz-City Zeit für die Neue Westfälische eingefangen hat. Und an Reinhard Fulde, der uns mit seinen Texten in die vergangene Zeit eintauchen lässt.

Da ist er, dieser Ton, abgrundtief dunkel, gravitätisch und erdhaft im Timbre, im positiven Sinne »einfach«, aber ungeheuer ausdrucksstark. Für mich inzwischen bei den ersten gezupften Tönen unverkennbar: Es ist der Bass von Charlie Haden, insgesamt fünfmal in Gütersloh zu Gast, mehrfach auch bei uns zu Hause am Esstisch. Mit Charlie verbinden Josef und ich wohl die engsten und freundschaftlichsten Beziehungen zu einem Jazzmusiker, und das, obwohl der Bassist nicht gerade als »einfacher« Star galt. Hautnah erlebte ich, dass schon ein Jahr vor dem ersten Auftritt in Gütersloh, als Charlie mit Geri Allen und Paul Motian im Bunker Bielefeld zu Gast war: Ich saß in der ersten Reihe und wurde von ihm inständig gebeten, in der Pause auf sein (wirklich kostbares!) Instrument aufzupassen, was ich auch brav tat. Sein Herz hatten Josef und ich endgültig gewonnen, als wir vor seinem ersten Auftritt das Konzert aus dem engen, oft stickigen Jugendzentrum in die Aula des städtischen Gymnasiums verlegten. (»You saved my life…!«) Er war danach noch vier weitere Male in Gütersloh zu Gast.

ALAN BROADBENT BEI DEN PROBEN IN DER NOCH KALTEN AULA DES STÄTTISCHEN GYMNASIUMS

Charlie Haden galt als einer der absoluten TopBassisten des Jazz. In den 90er- Jahren belegten er als Bassist sein Quartet West als Gruppe und seine Plattenaufnahmen jahrelang Spitzenplätze bei Kritiker- und Leserumfragen u. a. im DOWNBEAT. Er gewann reihenweise Grammies, besonders seine Zusammenarbeit mit dem Gitarristen Pat Metheny auf „Beyond the Missouri Sky“ wurde ein absoluter Topseller. Charlie Haden trat bereits in den fünfziger Jahren in der legendären Band von Ornette Coleman (mit Don Cherry und Billy Higgins) ins Rampenlicht. Dieses Quartett galt neben der Gruppe von John Coltrane zu dieser Zeit als die führende Avantgarde Jazzcombo, ihr LP-Titel »Free Jazz« (1961) war richtungsweisend für eine ganze Bewegung. 1969 bezog er angesichts des Vietnamkrieges und anderer ihn bedrückender politischer Strömungen mit dem Liberation Music Orchestra erstmals entschieden politisch Position. Legendär der Auftritt des Orchestras in Lissabon noch zu Zeiten der Diktatur Salazars. Nachdem er die Hymne »Song for Che« mit erhobener Faust den Befreiungsbewegungen von Angola und Mozambik gewidmet hatte, erntete er nicht nur enthusiastischen Jubel beim jungen Publikum, sondern wurde nach dem Konzert sofort verhaftet und verbrachte eine Nacht im Gefängnis, aus dem ihn am anderen Morgen Angehörige der amerikanischen Botschaft befreiten. Dies ist die wahre Version einer Geschichte (wie sie mir von Charlie selbst bestätigt wurde), von der es viele Varianten gibt. Das Liberation Music Orchestra wurde später mehrfach wiederbelebt, ebenso seine Zusammenarbeit mit Keith Jarrett, mit dem er in den 70er-Jahre zusammen mit Paul Motian (später zum Quartett erweitertes) ein berühmtes Trio bildete. Seinen großen Durchbruch – auch in Europa – erlebte er dann mit dem Quartet West. Viele weitere Jazzmusiker arbeiteten mit ihm als begehrtem Sideman, aber auch Popmusiker u. a. Rickie Lee Jones und Ginger Baker(!)

Da unser Verhältnis zu Charlie Haden, seiner Frau und den Mitgliedern des Quartet West so freundschaftlich war, verknüpfen sich mit ihm viele gemeinsame Erlebnisse, über die wir lange berichten könnten. So war das Quartett vor seinem ersten Auftritt in Gütersloh einen Tag früher angereist, und wir hatten die Musiker bei uns zu Hause zu Gast. Ich hatte einen Champagner besorgt, den ich öffnen wollte, als die vier in schallendes Gelächter ausbrachen. Alan Broadbent und Lawrence Marable (beide freundeten sich später ganz besonders mit meiner Frau an) erklärten das sofort: Alle vier(!!) waren ehemalige Alkoholabhängige und hatten sich gerade vorgestellt, was abgegangen wäre, wenn sie den Drink angenommen hätten. Als Nachtisch gab es einen selbst gemachten Topfenstrudel, dessen Ruhm, wie wir später erfuhren, bis nach New York durchgedrungen sein musste.

Nicht nur, dass meine Frau ihn danach noch mehrfach für Charlie zubereitete (u. a. nahmen wir zusammen mit Josef einmal eine Version davon mit nach Hamburg zu einem Konzert der Gruppe), sondern plötzlich gab es auch Nachfragen von anderen Musikern.

Es kam noch zu zahlreichen weiteren Treffen, u. a. in Montreux und Rotterdam. Ein letztes Mal, ein Jahr vor seinem Tod, sahen wir Charlie in Dan Haag, wo er mit Ornette Coleman einen letzten nostalgischen Auftritt hatte. Unvergessen dabei einer meiner Lieblingssongs: »Lonely Woman«. RIP

Einen wirklich kompetenten Artikel zu Charlie Haden gibt es tatsächlich bei WIKIPEDIA, mehrere Interviews mit ihm auf YouTube. Wer noch mehr persönliche Anekdoten haben möchte oder Fragen hat, kann mich gerne kontaktieren.

Meine Lieblingsplatten:

Ornette Coleman, The Shape of Jazz to Come Charlie Haden Liberation Music Orchestra Keith Jarrett Trio, Life between the Exit Signs Quartet West, Haunted Heart – Always Say Goodbye mit Pat Metheny, Beyond the Missouri Sky mit Keith Jarrett, Jasmine

Info

Charles Edward »Charlie« Haden (* 6. August 1937 in Shenandoah, Iowa; † 11. Juli 2014 in Los Angeles, Kalifornien[1]) war ein amerikanischer Jazz-Kontrabassist, Komponist und Bandleader. Er gilt als einer der stilprägenden Vertreter des Free Jazz. Haden galt als ausgesprochen »politischer« Künstler und bezog in der Öffentlichkeit regelmäßig zu gesellschaftlichen Problemen Stellung.