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  • 08.03.2024
  • Ausgabe 97
  • RegioCarl

#JazzCityGT Blog 10

Michel Petrucciani
Reinhard Fulde Redakteurbild

Reinhard Fulde

Content-Redakteur

Eine musikalische Reise nach Jazz-City Gütersloh

Text: Reinhard Fulde Fotos: Raimund Vornbäumen

Ein großes Dankeschön an den Fotografen Raimund Vornbäumen für diese fantastischen Bilder, die er in der Jazz-City Zeit für die Neue Westfälische eingefangen hat. Und an Reinhard Fulde, der uns mit seinen Texten in die vergangene Zeit eintauchen lässt.

Wer von diesem Ausnahmepianisten noch nie gehört hat, sollte sich für einen ersten Eindruck einmal einen Konzertmitschnitt mit ihm ansehen. Gut geeignet dazu ist z.B. der 3Sat-Beitrag (auf YouTube) aus der Münchener Philharmonie 1997. – Michel Petrucciani wurde 1962 in Orange (Frankreich) in eine Musikerfamilie geboren, lernte bereits als Kind Schlagzeug, wandte sich aber bald dem Keyboard bzw. Piano zu. Der aufgrund einer Glasknochenkrankheit kaum einen Meter große junge Mann sah seine Behinderung trotz ständiger Schmerzen und zahlreicher Knochenbrüche nie als Hemmnis auf seinem weiteren Weg an, wunderbarerweise waren seine im Verhältnis zum Körper übergroßen Hände nicht beeinträchtigt. Im Alter von 13 Jahren stieg er bei einem Jazzfestival in Cliousat in die Band des Trompeters Clark Terry ein, mit 18 nahm er seine erste eigene Platte auf und ging nach New York, mit 20 spielte er in der Gruppe des Saxophonisten Charles Lloyd. Diesen hatte er vorher durch sein bewegendes Spiel aus einer selbstgewählten Einsiedelei in den Bergen von Big Sur (Kalifornien) geholt und wieder zurück auf die dann folgende lange Erfolgsstraße gebracht. Spätestens jetzt hatte sich Michel Petrucciani in der Jazzszene fest etabliert, und es folgten in den nächsten Jahren zahlreiche Plattenaufnahmen und Konzerttourneen rund um den Globus, an der Seite von Legenden wie Jim Hall, Wayne Shorter, Stephane Grappelli, u.v.a. Schon »Jazzpabst« Joachim E. Behrendt schwärmte in seinem »Jazzlexikon« von ihm: »Seine Konzertauftritte gehören zu den bewegendsten Erlebnissen auf allen großen Festivals des Jazz.«

Dass dieses Lob keineswegs auf einem Mitleidsbonus beruhte, erfuhr ich selbst Anfang der 80er Jahre hautnah auf einem Jazzfestival in Münster, als ich Michel im Duokonzert mit dem legendären Gitarristen Jim Hall (natürlich auch er noch später in Gütersloh Gast der Jazzreihe) zum ersten Mal erleben durfte. Der junge Pianist konnte damals noch nicht selbständig gehen, erlernte es erst, mühsam an Krücken gehend, im Alter von 25 Jahren. Jim Hall trug ihn auf dem Arm auf die Bühne und setzte ihn auf den Klavierhocker. Was folgte gehört bis heute zu meinen absoluten Konzerthighlights, eine Sternstunde des Jazz: Im tristen Ambiente der großen Münsterlandhalle verzauberten die beiden Künstler die Zuhörer in einem wunderbaren Konzert.

Natürlich gab es minutenlange »standing ovations« und mehrere Zugaben.

Im September 1995 war Michel Petrucciani in Deutschland einem breiteren Publikum abseits der Jazzkreise durch sein Mitwirkung als »Hauspianist« in der beliebten Talkshow »Willemsens Woche« im ZDF vertraut geworden, und am Abend vor seinem Konzert in Gütersloh war er dort wieder zu Gast. Am Samstagmorgen waren dann die restlichen rund 100 Karten für seinen Auftritt in der kleinen Stadthalle im Nu ausverkauft, und keiner der Karteninhaber sollte sein Kommen bereuen. Auch dieses Solokonzerzt zähle ich künstlerisch und atmosphärisch zu den absoluten Höhepunkten unserer Jazzreihe. Michel nahm das Publikum mit auf eine Klangreise von wunderbaren Balladen bis hin zu aufregenden, perkussiven Stücken wie etwa das berühmte »Take the A-train«. Die kleine Stadthalle tobte vor Begeisterung. Vor und hinter der Bühne erwies sich Michel als ein unglaublich freundlicher, liebenswürdiger und liebenswerter junger Mann, mit einem unglaublichen Humor.

Selten haben wir mit einem Musiker soviel zusammen gelacht, selten einmal war ein Künstler so zugewandt, wollte auch von Josef und mir wirklich interessiert Persönliches wissen.

Info:

Michel Petrucciani, (geb.28. Dezember 1962, gest.6.Januar 1999) war ein französischer Jazzpianist. Von Geburt an litt er an Osteogenesis imperfecta, einer genetisch bedingten Krankheit, die zu brüchigen Knochen und in seinem Fall zu Kleinwuchs führt. Trotz seines Gesundheitszustands und seines relativ kurzen Lebens entwickelte er sich zu einem der erfolgreichsten Jazzpianisten seiner Generation

Bis heute ist mir der erste Kontakt mit ihm in Erinnerung: Ich holte ihn mit meinem alten Opel Astra vom Hotel ab. Aus der Tür kam ein Mann, der mir mit seiner Körpergröße bis knapp an die Hüfte ging. Ich öffnete die Beifahrertür und mit einem Sprung saß er auf dem Beifahrersitz: »Hi, I‘m Michel. How are you?« und schon waren wir in einem lebhaften Gespräch. Einige Monate später trafen Josef und ich ihn nach einem Konzert in der Oetkerhalle hinter der Bühne (er war übrigens von attraktiven Frauen umlagert…. ) Er begrüße uns sofort mit Namen und fragte nach der ihm in Gütersloh versprochenen Flasche Wodka: »Hi, Josef, you have some souvenir for me?« – Auch sein Auftritt in Bielefeld, diesmal im Trio mit Steve Gadd am Schlagzeug und Anthony Jackson am Bass, war wieder ein sensationelles Konzertereignis. Viel zu früh starb Michel Anfang 1999 in New York. Er hinterließ unzählige trauernde Fans. RIP

Meine Lieblingsplatten:

Michael Radford, »Michel Petrucciani – Leben gegen die Zeit« (DVD bzw. Streaming)
MICHEL PETRUCCIANI AU THEATRE DES CHAMPS-ELYSEES (Solo))
Flamingo (u.a. mit Stephane Grappelli)
Power of Three (mit Jim Hall und Wayne Shorter)