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  • 29.09.2025
  • Ausgabe 115
  • RegioCarl

EIN LEBEN ZWISCHEN LINIEN UND FARBEN

CHARLIE B. ZUDROP
Matthias Kirchhoff Redakteurbild

Matthias Kirchhoff

Content-Redakteur

FOTO: MATTHIAS KIRCHHOFF · DR. SILVANER KREYER · BEATE FREIER-BONGAERTZ · WOLFGANG HEIN | TEXT: MATTHIAS KIRCHHOFF

Man kennt ihn in Gütersloh. Den großen Dünnen mit den meerblauen Augen, der sein Atelier im Fahrradanhänger hinter sich herzieht. Wer ihm begegnet, spürt schnell: Charlie B. Zudrop ist kein gewöhnlicher Künstler. Er ist Chronist seines eigenen Lebens – mit Stift, Pinsel und unzähligen Kladden, die mehr verraten als jedes Tagebuch. Er ist inzwischen 73 Jahre alt, doch wenn er zeichnet, scheint die Zeit stillzustehen. »Ich gucke einfach zu, was mein Stift so macht«, sagt er – ohne jede Pose. Wer ihn dabei beobachtet, merkt rasch, dass Malen für ihn mehr ist als Kunst. Es ist ein Spiegel der eigenen Stimmung, manchmal Rettungsanker, manchmal Befreiung. Malerei als Therapie – und zugleich Ausdruck purer Lebendigkeit.

Sein Weg dorthin war alles andere als geradlinig. Geboren in Herzebrock-Clarholz, mit 14 schon Malocher in einer Möbelbude, mit 15 vom Jugendamt ins Gütersloher Kolpinghaus verschleppt – Regeln, die er nie mochte, Haare, die er nicht abschneiden wollte. Also Ausbruch. Reisen per Anhalter, Gelegenheitsjobs, Festivals und High Life auf der ganzen Linie. Bis er die Reißleine zog und entdeckte, dass Malen und Tanzen ihn tragen konnten. Bewegung, Rhythmus, Wildheit – all das kehrt bis heute in seinen Bildern wieder.

In den Siebzigern zieht es ihn zurück nach Gütersloh. Im Odeon und später in der Alten Weberei findet er seine Szene. Während Bands auf der Bühne stehen, malt Charlie B. Zudrop daneben im Rhythmus der Musik. Farben explodieren, Linien tanzen – er selbst wird Teil des Kunstwerks. Schon bald hängen seine Bilder in der Weberei-Galerie, später auch bei Art Colori, im Verhoffhaus, im Bleichhäuschen, im Sozialzentrum der LWL-Klinik oder, zuletzt, im Kreishaus.

Doch Ausstellungen allein sind nicht das Entscheidende. Wichtiger sind ihm die Begegnungen, die Gespräche beim Malen. Er klappt sein Skizzenbuch einfach überall auf – im Krankenhaus, in Kirchen, im Rathaus, in der Stadtbibliothek oder in Schenkes Bistro.

Und ganz besonders gerne am Dreiecksplatz, wo er oft, Anzeige bei einer gesponserten Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen, vor dem Café Rinnes sitzt. An den kühlen Tagen ist Charlie auch im Backhaus Liening ein gern gesehener Gast und in den Sommermonaten oder so lange es noch angenehme Temperaturen gibt, lässt er sich ein Eis im Pink Pinguin munden. Am Dreiecksplatz gehört er längst zum Straßenbild, ein echtes Gütersloher Original. »Kunst gehört mitten ins Leben«, sagt er – und lebt es genau so.

Heute arbeitet er in kleinerem Format: DIN A4, DIN A3, seitenweise gefüllt mit Linien, Schraffuren, transparenten Temperafarben, manchmal auch mit Kaffee gemalt. Rund 450 Kladden sind so entstanden – Kunstwerke und Tagebücher zugleich. Die Motive sind vielfältig: knorrige Bäume, geheimnisvolle Masken, vogelartige Wesen. »Manchmal stoße ich beim Malen auf urige Sachen, die tief in uns Menschen drin sind«, erzählt er.

Trennen von seinen Bildern fällt ihm schwer. Viele verschenkt er, manches verkauft er, von vielem macht er Kopien. »Dann ist es in Ordnung«, sagt er und schmunzelt.

Im Frühjahr kuratierte sein Freundeskreis eine große Ausstellung ‚Caféhaus Punk‘ im Kreishaus. Ein Katalog würdigte darin nicht nur den Künstler, sondern auch den Menschen Charlie B. Zudrop. Und doch blieb eine Frage offen, die auch dort nicht beantwortet wurde: Was bedeutet eigentlich das geheimnisvolle »B.« in seinem Namen?

Charlie schweigt und lächelt. Vielleicht ist es nur ein winziges Rätsel, so geheimnisvoll wie seine Masken – und so sanft wie die Linien, die er seit Jahrzehnten zieht.

Wir vom Carl sind einfach begeistert.