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  • 27.02.2025
  • Ausgabe 108
  • RegioCarl

DER WEG ZUM IRON TRAIN

DAS ABENTEUER
Regina Meier zu Verl Redakteurbild

Regina Meier zu Verl

Content-Redakteurin

FOTOS: ANDRE HOCHGREFE | TEXT: REGINA MEIER ZU VERL

Andre Hochgrefe (25), reist leidenschaftlich gern. Sein Motto: Die Welt ist schön – und sie will ge-sehen werden. Deshalb nutzt er seine Zeit maximal und jongliert Studium, drei Jobs und sein gro-ßes Ziel, so viel wie möglich zu erleben. Drei Jobs? Er arbeitet selbstständig als Model, handelt mit Uhren und steht am Wochenende hinter der Bar. Das Studium läuft gut, und wenn er nicht lernt oder arbeitet, ist er unterwegs überall in der Welt, gern auch bei uns in Gütersloh, um seine Verwandten hier zu besuchen. Nebenbei bereitet er sich auf einen Ironman in Hamburg vor – ein enormer Zeitfresser, aber genau sein Ding. Er sagt Ja zu Chancen, setzt sich hohe Ziele und zieht es durch.

Der Weg zum Iron Train

Anfang September zog er für ein Auslandssemester nach Gran Canaria. Dort entdeckte er das Wellenreiten für sich und lernte beim Sonnenaufgangssurfen Benji kennen – ebenfalls ein deutscher Erasmus-Student mit einer Leidenschaft für Reisen und Abenteuer. Schnell stand fest: Sie wollten gemeinsam etwas Außergewöhnliches unternehmen. Da Gran Canaria geografisch nah an Afrika liegt, lag die Idee nahe, dorthin zu reisen. Andre erinnerte sich an ein Reel eines deutschen Influencers, der mit dem Iron Train durch die Wüste Mauretaniens gefahren war. Die Bilder hatten ihn sofort fasziniert – eine Reise jenseits der Norm, roh, einzigartig. Der Gedanke ließ ihn nicht mehr los.

Von der Idee zur Reise – Der Plan steht:

Viele träumen von außergewöhnlichen Abenteuern, doch nur wenige setzen sie um. Als er Benji wieder traf, war klar: Wir machen das! Schnell fanden sich zwei weitere Mitstreiter, Laurin und Simon. Nun ging es an die Planung. Der Iron Train, der längste und schwerste Zug der Welt – doch wie kommt man nach Mauretanien? Bis zu diesem Moment wusste Andre nicht einmal, dass es das Land gibt. Fahrpläne? Fehlanzeige. Nur auf Google Maps konnte man die Schienen ausmachen. Über den Influencer Tod Teichmann fanden sie heraus, wo der Zug hält – mitten in der Wüste.

 

Nach ein paar Bieren und langen Diskussionen stand fest: Der einzige Direktflug nach Nouakchott, Mauretaniens Hauptstadt, ging einmal wöchentlich. Am 22. Januar nahmen sie diesen Flug. Die Stadt? Chaotisch, staubig, riesig – fast wie ein Kriegsgebiet. Nach einer Nacht im Hostel startete der eigentliche Trip. Mit einem großen schwarzen Edding schrieb Andre »Atar« auf einen gefundenen Pappkarton – das nächste Ziel, eine Stadt tief in der Wüste. Sie wussten: Von dort mussten sie nach Choum, einer kleinen Stadt an der Grenze zur Westsahara, durch die der Iron Train fuhr. Also trampten sie los – mitten durch Mauretanien. Durch die Wüste nach Choum – und dem Iron Train ganz nah! Als die vier mit ihrem Schild durch die Straßen liefen, wurden sie angesehen, als kämen sie von einem anderen Planeten. Touristen gibt es in Mauretanien kaum. Doch die Menschen waren unglaublich freundlich – keine zehn Minuten später hielt ein Pickup- Truck und nahm sie mit. Sechs Stunden fuhren sie auf der Ladefläche durch die Wüste bis nach Atar.

Da sie noch mehr Zeit hatten, unternahmen sie spontane Abstecher. In Dschingeti, einem vergessenen Ort mitten in der Wüste, machten sie eine zweitägige Kamelwanderung – zehn Kilometer zu einer Oase, unter atemberaubendem Sternenhimmel. Alles organisierten sie durch Gespräche mit Locals, die sich zur Begleitung anboten. Zurück in Atar fuhren sie mit einem 4WD tief in die Wüste, bis zu den Monolithen – riesigen Felsen, darunter der größte Monolith Afrikas. Wegen des starken Windes suchten sie Schutz in einer Höhle, machten ein Lagerfeuer und tranken Unmengen Tee, wie es in Mauretanien Tradition ist. Schließlich erreichten sie Choum, das ist ein winziger Ort mit nur wenigen Hundert Einwohnern. Hier hielt er endlich – der legendäre Iron Train.

Der längste und schwerste Zug der Welt transportiert Eisenerz von der Mine in Zouérat quer durch die Wüste bis an die Küste nach Nouadhibou, wo es verschifft wird. Obwohl der Zug ein reiner Güterzug ist, nutzen ihn viele Einheimische als Transportmittel. Manche springen auf die offenen Waggons, andere quetschen sich in den einzigen völlig überfüllten Passagierwaggon. Sogar Tiere wie Ziegen und Schafe reisen auf den Waggons mit. Der Zug hält nur zweimal: In Choum – für gerade einmal drei bis vier Minuten – und in Nouadhibou. Das war die einzige Chance, aufzuspringen.

Angekommen in Choum suchten die Vier die einzige Übernachtungsmöglichkeit – eine kleine Lodge am Rand der Wüste. Von dort aus war klar: Sie wollten auf den Zug. Aber wann kommt er? Wie steigen sollten sie aufsteigen? Über eine WhatsApp-Gruppe hatte Andre den Kontakt eines Einheimischen bekommen, der behauptete, den Zugführer zu kennen und sie auf den Zug bringen zu können. Sie verhandelten einen Preis, und er kam zur Lodge, um mit ihnen auf den Zug zu warten. Einen Fahrplan gibt es nicht. Offiziell fährt der Zug zweimal täglich, aber in Wirklichkeit variiert das – manchmal fährt er täglich, manchmal nur zweimal pro Woche. Und selbst wenn er fährt, hält er nicht immer in Choum. Mal hält er, mal nicht. Deshalb war der Kontaktmann entscheidend: Er wusste Bescheid.

Gegen 17 Uhr rief er an: »Macht euch bereit, der Zug kommt um 21 Uhr.« Er war in Zouérat gestartet und sollte nach etwa vier Stunden in Choum ankommen. Doch um 18 Uhr kam ein neuer Anruf: »Wir konnten noch nicht losfahren.« Dann Funkstille. 19 Uhr, 20 Uhr – nichts. Erst um 22 Uhr die nächste Meldung: »Wir sind jetzt losgefahren. Ankunft gegen 2 Uhr.«

Für die Vier perfekt! Eine Abfahrt um 21 Uhr hätte bedeutet, dass sie einen Großteil der 16-stündigen Fahrt in der Dunkelheit verbracht hätten – eiskalt und ohne Sicht. So aber würden sie den Tag in der Wüste erleben. Der Zug hatte noch mehr Verspätung, also legten sie sich in der Lodge hin. Der Schleuser und der Gastgeber versicherten ihnen: »Wir wecken euch, sobald es losgeht.« Doch sie sollten fertig angezogen schlafen – jederzeit bereit, denn wenn der Anruf kommt, bleibt keine Zeit zum Zögern. Und sie waren bereit. Kurz bevor sie sich hingelegt hatten, erklärte der Mittelsmann und der Lodge-Besitzer, dass sie innerhalb von ein bis zwei Minuten bereit sein mussten, um den Zug nicht zu verpassen. Ein verpasster Zug hätte katastrophale Folgen für die Rückflugplanung gehabt, und sie wären irgendwo im Nirgendwo gestrandet. Daher war es klar, dass sie diesen Zug unbedingt bekommen mussten. Sie zogen sich komplett an, um für die Fahrt gerüstet zu sein.

 

Die Sturmhaube schützte vor der Kälte nachts und vor der Sonne tagsüber, während die Skibrille verhinderte, dass feiner Staub in die Augen gelangt. Wichtig waren auch die FFP-Masken, die sie hatten, um den Staub nicht einzuatmen. Jeder hatte zwei Stück dabei, damit nach der Hälfte der Zeit gewechselt werden konnte. Um kurz nach vier stürmte der Vermittler wie ein SWAT-Team in die kleine Hütte, in der die Abenteurer schliefen. Sie sprangen sofort auf, zogen ihre Sachen an, griffen nach den Rucksäcken und machten sich auf den Weg zum Auto. Vor der Lodge stand ein alter Mercedes, in den schnell die Koffer und Rucksäcke geladen wurden. Der Vermittler hatte einen Fahrer organisiert, der nur Arabisch sprach, sodass sie sich nicht mit ihm verständigen konnten.

 

Die Stimmung war angespannt, keiner sprach ein Wort. Nach einem kurzen Abschied startete das Auto – ohne Licht – und rollte durch die Ruinen von Choum in Richtung Wüste, bis zu den Gleisen. Dort warteten sie. Sie hatten einem Fremden Geld gegeben, damit er sie hierherbringt – nun hofften sie, dass wirklich bald ein Zug auftauchen würde.

Plötzlich erschien ein Lichtkegel in der Ferne, wurde heller – und dann donnerte ein Zug heran, hielt an. Begeistert riefen die Jungs: »Da ist er!« Doch Andre fiel auf: Das war der leere Zug, der zur Mine fuhr. Gab es da ein Missverständnis mit dem Schleuser? Zum Glück war Choum der einzige Ort mit zwei Gleisen. Während der leere Zug stehen blieb, tauchte am Horizont erneut ein Lichtkegel auf. Der Boden vibrierte, das Auto zitterte – der andere Zug kam! Sie tauchten ab, um nicht von den Lokführern gesehen zu werden. Die Mitfahrt war eine Grauzone – nicht direkt verboten, aber auch nicht gern gesehen. Dann rauschte der Zug heran: Der volle Eisenerzzug! Adrenalin schoss durch die Körper der jungen Männer – es konnte losgehen. Sie stiegen aus dem Auto, duckten sich dahinter und zogen schnell die Rucksäcke heraus. Der Zug sollte nur zwei bis drei Minuten halten – keine Zeit zu verlieren. Doch zwischen ihnen und dem beladenen Zug stand noch der leere Zug, der jederzeit losfahren konnte. Ein Umweg war unmöglich. Also blieb nur eins: hindurch.

Ohne lang zu überlegen, krochen sie unter den Waggons hindurch, reichten die Rucksäcke durch und schoben sich hastig nach. Sekunden nach dem letzten der Vier krachte es – der leere Zug setzte sich in Bewegung. Keine 20 Sekunden später, und sie wären darunter gewesen. Der Zug stand jetzt direkt vor ihnen. Der Plan war klar: Benji zuerst hoch, Andre auf die Leiter, die Jungs reichen das Gepäck an. Sekunden später saßen alle auf dem Waggon, jeder in einer Ecke mit seinen Sachen. 220 Waggons, einer war jetzt belagert. Doch plötzlich entdeckte Andre zwei Gestalten mit Taschenlampen, die Waggons ableuchteten. Er flüsterte Benji und Laurin zu, sie tauchten sofort ab. Auch Simon versteckte sich gerade noch rechtzeitig hinter einem Eisenerzhaufen. Sie lagen reglos, kaum atmend, während die Männer mit ihren Lampen immer näherkamen. Dann – endlich – entfernten sich ihre Stimmen.

Als der Zug sich ruckartig in Bewegung setzte, wagten sie es kaum zu glauben: Sie hatten es geschafft. Zehn Minuten lagen sie still in den Ecken des Waggons, bis Laurin als Erster die Stille brach: »Jungs, wir haben es geschafft.« In diesem Moment sprangen sie auf, umarmten sich – sie hatten es wirklich gepackt. Sie saßen auf dem längsten und gefährlichsten Zug der Welt, mitten im Abenteuer. Was für eine Aufregung! Während die anderen noch zwei Stunden schliefen, blieb Andre wach und betrachtete die Sterne über der endlosen Wüste. Pünktlich zum Sonnenaufgang weckte er die Jungs. Die ersten goldenen Strahlen tauchten die Landschaft in magisches Licht, während der aufkommende Wind den Eisenerzstaub durch die Luft wirbelte. Ein surrealer Anblick.

Der Zug fuhr mit 40 bis 60 km/h durch die menschenleere mauretanische Wüste – 700 km nichts als Sand und Hitze. Mittags gruben sie sich eine kleine Mulde als Schattenplatz, denn die Sonne brannte unerbittlich. Nach 16 Stunden passierten sie das erste Dorf. Polizeiposten mit Aussichtstürmen zwangen sie immer wieder zum Ducken. Doch alles lief glatt, und schließlich erreichten sie Nouadhibou. Als der Zug hielt, sprangen sie unbemerkt ab. Der Zugführer, zwei Kilometer entfernt, hätte sie ohnehin nicht sehen können. Sie liefen zur nächsten Straße, stoppten ein Taxi und genossen unterwegs den Sonnenuntergang – ein perfekter Abschluss.

Im Hostel angekommen, wollte man sie nicht einlassen, dreckig, wie sie waren. Also mussten sie um Mitternacht noch ins Meer springen, um den Eisenerzstaub abzuwaschen. Auf dem Zug hatten die Vier tiefgründige Gespräche geführt, die Vorräte geteilt – wobei das Brot nach Sekunden voller Staub war – und Notfallpläne gemacht, falls jemand runterfallen sollte. Wasser hatten sie genug, aber Hunger begleitete die jungen Männer bis zum Ende der Fahrt. Von Nouadhibou fuhren sie mit einem privaten Fahrer zur marokkanischen Grenze, durch das sogenannte Niemandsland – eine 4 km lange, verminte Strecke. Danach ging es nach Dakhla in der Westsahara und schließlich über Gran Canaria zurück nach Deutschland.

Das war sie, die verrückte Reise auf dem Eisenerzzug – ein Abenteuer, das Andre, Benji, Laurin und Simon sicher nie vergessen werden.

 

NEXT COMING SOON…

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