FOTOS: MATTHIAS KIRCHHOFF | TEXT: CARLMAKESMEDIA
Wo Menschen zusammenkommen, entstehen Geschichten. Und manche Orte erzählen davon auf ganz besondere Weise. Die Weberei war so ein Ort; Bühne, Wohnzimmer, Treffpunkt, Denkraum. Seit 1984 pulsierte hier das kulturelle Herz Güterslohs. Nun geht ein Kapitel zu Ende. Doch die Idee, die hier gewachsen ist, lebt weiter.

EIN ORT VOLLER LEBEN
Wer in den letzten Jahren durch die Bogenstraße kam, spürte sofort, was diesen Platz ausmachte: Stimmengewirr auf der Terrasse, Musik aus dem Saal, Kinder, die zwischen Stühlen hindurchflitzten, und irgendwo lachte immer jemand. Die Weberei war kein stilles Haus, sie war ein lebendiges Stück Stadt und wurde getragen von Menschen, die mitmachten, statt nur zuzuschauen.
NEUSTART AUS LEIDENSCHAFT
2013 drohte die Weberei zum zweiten Mal zu kippen. Parisozial war insolvent, die Türen hätten sich schließen können, doch die Böning-Brüder und ihre Partner, die Gastronomen Sprenger & Oehme, dachten gar nicht daran, tatenlos zuzusehen. Eine Weberei ohne Heiligabendparty, ohne SmallStars? Einfach undenkbar. Sie kauften aus der Insolvenzmasse, was nötig war, krempelten die Ärmel hoch und eröffneten sogar früher als geplant. Ein Jahr später war alles neu: Lampen, Farben, Küche, Ideen. Aus der Weberei wurde der Bürgerkiez, ein Ort, der Kultur und Miteinander neu dachte.


KULTUR FÜR ALLE – UND VON ALLEN
Ob Pubquiz, Seniorenkaffee oder Kindertheater, oder der weit über die Grenzen Gütersloh beliebte und bekannte »Kiezklüngel« im bunt genmischten Programm hier fand jede Generation ihren Platz. Über tausend Mal im Jahr nutzten Vereine, Initiativen und Gruppen die Räume. Die Weberei wurde zu einem der größten soziokulturellen Zentren in NRW – mit einer Eigenfinanzierungsquote, die ihresgleichen suchte.
Und das alles, ohne den Charakter zu verlieren: offen, herzlich, nah dran an den Menschen. Ein Ort, an dem man sich begegnete und das nicht nur zufällig, sondern mit Sinn. Monat für Monat strömten über 10.000 Menschen in die Bogenstraße. Ein Ort, lebendig, warm, ein bisschen chaotisch, aber immer echt.
MUTIG DURCH DIE KRISEN
Als 2020 plötzlich alles stillstand, reagierte der Bürgerkiez mit Bewegung. Statt Türen zu schließen, öffnete man digitale Fenster. Virtuelle Kneipenquiz, Mitmach-Krimilesungen, Kindertheater im Livestream, ja sogar eine PKW-Bühne im Autokino-Stil – der Kiez blieb kreativ. »Kultur kommt zu den Menschen«, lautete das neue Motto. Und so war die Weberei nach der Pandemie schneller zurück als viele andere, weil sie nie aufgehört hatte, da zu sein.


WEITSICHT UND WANDEL
Auch nach Corona blieb der Blick nach vorn. In Kooperation mit Hochschulen, Stiftungen und der Stadtbibliothek entstanden Ideen für ein »grünes Kulturzentrum der Zukunft«, ressourcenschonend, offen, vernetzt. Die Weberei war längst mehr als ein Veranstaltungsort: Sie wurde zum Dritten Ort, an dem Gemeinschaft, Nachhaltigkeit und Teilhabe zusammenkamen.
EIN ABSCHIED MIT HALTUNG
Doch ein Ort braucht auch Verlässlichkeit. Geplante Sanierungen wurden verschoben, notwendige Maßnahmen blieben aus. Und so entschieden sich die Betreiber nach reiflicher Überlegung, die Pacht zu kündigen, mit langem Vorlauf und ohne Chaos. Ein Rückzug ohne Pleite, ohne Groll; das hat in der Geschichte der Weberei noch niemand geschafft. Mit dem Silvesterkonzert 2025 endet die Ära Bürgerkiez an der Bogenstraße. Und doch ist es kein Ende, sondern ein Übergang.


KULTUR. NACHHALTIGKEIT. GEMEINSCHAFT.
Das Team und ich hätten mit ganzem Herzen und voller Energie unsere Vision verwirklicht: ein Kulturhaus der Zukunft, mit niedrigsten Emissionen, offenen, lebendigen Räumen und echten Begegnungsorten für Menschen aller Generationen.
Nach der Sanierung wäre auch unser gastronomisches Konzept konsequent regional und nachhaltig geblieben, als Ausdruck unserer tiefen Verbundenheit mit Gütersloh und seiner Umgebung.
HIGHLIGHTS DER LETZTEN JAHRE
Variete-Format Kaff&Kosmos
Gütersloh hatte schon hier gastierende Variete-Gruppen, aber ein eigenes Format noch nicht. Die Idee mit GOP-Conférencier Martin Quilitz, der seinen ersten Bühnenauftritt in den 80ern im Jugendbereich der Weberei hatte, ein eigenes Weberei-Format aufzubauen, war ein herausforderndes Projekt. Wie für Ostwestfalen typisch dauerte es einige Zeit bis »Kaff&Kosmos« wie die Reihe des KiezComedyClubs genannt wurde, sein Stammpublikum gefunden hatte. Viele namhafte Musiker, Comedians und Künstler gastierten im veranstaltungstechnisch modernisierten Bürgerkiez und erfreuten sich der familiär-professionellen Atmosphäre.


Virtualisierung mit Corona
Während es in anderen Kultureinrichtungen »Türen zu und Youtube anbieten« hieß, entschloss sich der Bürgerkiez dazu, seine Angebote interaktiv und virtuell anzubieten. Von der PKW-Kulturbühne über virtuelles Bingo oder Kneipenquiz bis zur Mitrate-Krimilesung mit Raiko Relling oder Mitmach-Kindertheater live aus der Bogenstraße ging es Vollgas in ein neues Zeitalter. Damit war die Weberei anschließend mit Künstlern und Mitarbeitenden »versorgt« und konnte Zeitgleich die kulturelle Transformation »hin zu den Menschen« einleiten.
Aktionen von und mit Bürger:innen
Ein Bürgerzentrum lebt von den Menschen. So waren sowohl die neu aufgestellten Flohmärkte unter dem Titel »Kiezklüngel«, die erstmals auch eine Winter-Indoor-Edition einläuteten, als auch viele Familienfeste von »Tag der Maus« über »Lebenshilfe Fest« bis hin zum 1. Mai-Konzert große Publikumsmagnete. Aber auch die vielen kleinen und nicht so sichtbaren Angebote vom Senioren-Kaffee über den Flüchtlingsstammtisch bis hin zum Straßenfest am Tag der Nachbarn waren stets feste und wichtige Bestandteile im Bürgerkiez-Programm.










