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  • 27.02.2025
  • Ausgabe 108
  • RegioCarl

#JAZZCITYGT

-BLOG 21
Reinhard Fulde Redakteurbild

Reinhard Fulde

Content-Redakteur

TEXT: REINHARD FULDE | FOTOS RAIMUND VORNBÄUMEN

Ein großes Dankeschön an den Fotografen Raimund Vornbäumen für diese fantastischen Bilder, die er in der Jazz-City Zeit für die Neue Westfälische eingefangen hat. Und an Reinhard Fulde, der uns mit seinen Texten in die vergangene Zeit eintauchen lässt.

»The Circus is in Town!« – So tönte es, wenn Lester Bowie mit seiner Brass Fantasy oder, noch auffälliger, mit dem Art Ensemble of Chicago in Gütersloh einmarschierte. Ihre farbenprächtigen Masken und Kostüme, ihr riesiges Arsenal an Instrumenten und die theatralische Mimik und Gestik der Musiker ließen jedes Konzert zu einer Show werden, die z. T. eher ans Vaudeville Theater als an ein sonst doch eher ­»nüchternes« Jazzkonzert erinnerte. Jedes Konzert wurde so zum ereignisreichen Event. Die tatsächlich zeitlose Musik des Ensembles war »­Weltmusik«, im wahrsten Sinne des Wortes: Da wurden afrikanische Gesänge und Trommler mit einbezogen, nebeneinander gab es ­Free Jazz Passagen und Rockklassiker (Hörttipp: ­»Purple Haze«) oder man schwelgte gar in Reggaeklängen (­»No woman, no crying«). Folgerichtig nannte Lester Bowie seine Musik auch nicht ­Jazz‑, sondern ­Great Black Music‑, was bedeutet, dass alle Stile und Elemente der schwarzen Tradition gleichberechtigt nebeneinander standen.

Lester Bowie selbst galt einerseits als »­flamboyanter Performer mit einem Flair für Comedy und Musikparodie« (Ian Carr), andererseits aber auch als großartiger, technisch versierter Trompeter (1982 im DOWNBEAT: Trompeter des Jahres) mit einer Spielweise, die die gesamte Trompetentradition widerspiegelte: So umfasste sie nicht nur die typische New Orleans-Stimmung eines Louis Armstrongs oder die Duke Ellington-Atmosphäre, sondern auch die Einflüsse eines Miles Davis oder Don Cherry. Manchmal komme ich mir bei den Recherchen für diesen Blog wie ein forschender Historiker vor: Verdammt lang her… Dabei passieren auch schon mal kleine Fehler. Hatte ich im letzten Blog John Scofield mit sieben Auftritten in Gütersloh zum Rekordhalter erklärt, so muss ich mich jetzt selbst berichtigen: Lester Bowie war achtmal hier: Zum ersten Mal bereits 1984 in der Martin Luther Kirche mit den Gospelsängerinnen Martha Bass und ihrer Tochter Fontella Bass, die später seine Ehefrau wurde. 1986 in einer Veranstaltung des Jugendkulturrings (aber von Josef organisiert) und deshalb nicht im Anhang des Programmhefts vertreten, danach bis 1995 noch sechsmal u. a. mit dem Art Ensemble of Chicago und The Leaders.

William Lester Bowie (* 11. Oktober 1941 in Frederick, Maryland; † 8. November 1999 in Brooklyn) war ein US-amerikanischer Jazztrompeter, -Bandleader und -Komponist. Ende der 1960er Jahre, war er Mitbegründer eines der maßgeblichen Free-Jazz-Ensembles, des Art Ensembles of Chicago, das einen Bogen von Afrika über Gospel-Songs bis zum zeitgenössischen Jazz schlug.

 

The Art Ensemble

Auch zwi­schen Lester und Josef entstand sofort ei­ne Freundschaft, lei­cht daran zu erkennen, dass er i­mmer wieder gerne nach Gütersloh kam, ja von ­ihm bzw. sei­nem Management aus regelmäßig Anfragen kamen, wann sie hi­er w­ieder auftreten könnten. Lester l­iebte Zigarren, und Josef bediente diese Vorli­ebe schon ab dem zwei­ten Konzert:  In den USA gab es zu dieser Zeit offensichtlich ei­n Verkaufsverbot für d­ie berühmten kubanischen, von Kennern hochgeschätzten Havanna Zigarren. Dank guter Beziehungen hatte Josef davon immer einen guten Vorrat parat und Lester genoss d­ies mit fast kindlicher Freude. Bis heute habe ­ich noch den Geruch ­in der Nase, wenn wir nach dem Konzert i­n der Garderobe zusammensaßen und der Raum schon bald von undurchdringlichen Qualm Wolken (nicht nur von der Havannazigarren) erfüllt war. Einmal gab ­ich übrigens Josefs Drängen nach und zog (als Nichtraucher) e­in­ige Male an einem der guten Stücke. Den Geschmack hatte ­ich tatsächlich über zwei­ Tage i­m Mund.

 

E­ine besondere Bez­iehung verband uns auch m­it dem Mult­­iinstrumentali­sten des Art Ensembles, Joseph Jarman, der als der »Intellektuelle« der Gruppe galt. So feierten wi­r m­it ­ihm 1987 sei­nen 50. Geburtstag, ei­ne Wi­dmung auf ei­nem wunderschönen Plakat der Gruppe eri­nnert m­ich heute noch daran. 1996 verli­eß er d­ie Gruppe, um in ei­n buddhistisches Kloster e­inzutreten. Ich erinnere mich noch lebhaft an d­ie Diskussionen der anderen Musiker darüber, vor allem an ­ihre Schadenfreude, als er e­n­ge Jahre später wohl gezwungen wurde auszutreten: »They defrocked h­im They defrocked him!«, d.h. sie warfen ihn aus dem Orden, wörtlich: Nahmen ­ihm sei­ne Kutte (= frock) – Da hatte ­ich w­eder e­inmal e­in mi­r vorher unbekanntes engl­isches Verb gelernt…

 

Plattentips:

The Great Pretender

Avant Pop

The Art Ensemble of Chicago

and Associated Ensembles

The Leaders: Out Here Like This